Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner)
Predigt über Jesaja 58, 1-9 von Pfarrer Klaus Vogel am Sonntag Estomihi, 14. Februar 2021, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim / ONLINE
Predigt
Kanzelgruß
Jesaja 58, 1-9: Ein Fasten, das dem Herrn gefällt
1 »Ruf, so laut du kannst! Lass deine Stimme erklingen, mächtig wie eine Posaune! Halte meinem Volk seine Vergehen vor, zähl den Nachkommen von Jakob ihre Sünden auf! 2 Ach, für wie fromm sie sich doch halten! Sie rufen Tag für Tag nach mir und fragen nach meinem Willen. Sie kommen gern zum Tempel gelaufen, um meine Nähe zu suchen. Weil sie sich einbilden, nach meinen Geboten zu leben, darum fordern sie von mir auch ihre wohlverdienten Rechte. 3 ›Warum siehst du es nicht, wenn wir fasten?‹, werfen sie mir vor. ›Wir plagen uns, aber du scheinst es nicht einmal zu merken!‹ Darauf antworte ich: Wie verbringt ihr denn eure Fastentage? Ihr geht wie gewöhnlich euren Geschäften nach und treibt eure Arbeiter genauso an wie sonst auch. 4 Ihr fastet zwar, aber gleichzeitig zankt und streitet ihr und schlagt mit roher Faust zu. Wenn das ein Fasten sein soll, dann höre ich eure Gebete nicht! 5 Denkt ihr, mir einen Gefallen zu tun, wenn ihr bloß auf Essen und Trinken verzichtet, den Kopf hängen lasst und euch in Trauergewändern in die Asche setzt? Nennt ihr so etwas ›Fasten‹? Ist das ein Tag, an dem ich, der HERR, Freude habe? 6 Nein – ein Fasten, das mir gefällt, sieht anders aus: Löst die Fesseln der Menschen, die man zu Unrecht gefangen hält, befreit sie vom drückenden Joch der Sklaverei und gebt ihnen ihre Freiheit wieder! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! 7 Teilt euer Brot mit den Hungrigen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider! Helft, wo ihr könnt, und verschließt eure Augen nicht vor den Nöten eurer Mitmenschen! 8 Dann wird mein Licht eure Dunkelheit vertreiben wie die Morgensonne, und in kurzer Zeit sind eure Wunden geheilt. Eure barmherzigen Taten gehen vor euch her, und meine Herrlichkeit beschließt euren Zug. 9 Wenn ihr dann zu mir ruft, werde ich euch antworten. Wenn ihr um Hilfe schreit, werde ich sagen: ›Ja, hier bin ich.‹ Beseitigt jede Art von Unterdrückung! Hört auf, verächtlich mit dem Finger auf andere zu zeigen, macht Schluss mit aller Verleumdung!
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
angekommen sind wir heute – ich habe es bereits gesagt – am letzten Sonntag vor der Passionszeit. Wir Protestanten nennen die fast 7 Wochen bis Ostern so – die Katholiken sagen dazu Fastenzeit. Lange – viel zu lange haben wir da ganz höhnisch drauf geschaut und uns lustig gemacht, weil die Katholiken angeblich immer noch meinen, sich so das Himmelreich selbst verdienen zu können: Durch Fasten und fromme Leistungen. Längst gehört all das aber der Vergangenheit an. Längst haben wir Protestanten für uns und überhaupt (neben dem Pilgern!) auch das Fasten entdeckt. Wir unterstützen etwa als evangelischen Kirchengemeinde in diesen Wochen auch ganz ausdrücklich das Klimafasten. Schauen Sie sich das gerne auf unserer Homepage an und ganz ausführlich auf www.klimafasten.de. Fasten ist gut. Fasten ist christlich. Fasten war auch schon jüdisch, wie aus unserem heutigen Text herauszulesen ist.
Fasten kann aber auch ganz falsch sein. Auch das transportiert unser Text. Die Situation, in die hinein er entstanden ist, ist die Zeit kurz nach der Rückkehr aus der 70jährigen babylonischen Gefangenschaft. Man war wieder in der alten Heimat. Umfeld, Gesellschaft, (Macht-)Strukturen, Zusammenhänge, Zuständigkeiten, Kompetenzen, Privilegien, Posten und Pöstchen… all das wurde neu etabliert. Es war vielfach ein Hauen und Stechen, ein Gerangel, ein heilloser Kampf um die Plätze an der Sonne… darum, wer zuerst kommt… – wer kennt das nicht? Donald Trump und sein „America first!“ lassen grüßen…
Jedenfalls wurde damals – weil es die Frömmigkeit besonders fein und besonders gut nach außen sichtbar präsentiert hat, es wurde also auch kräftig gefastet. Doch Gott senkt dazu unmissverständlich den Daumen und der Prophet richtet es ebenso aus: Ihr seid tierisch auf dem Holzweg. Ihr blickt es nicht. Ihr meint, Gott würde sich von schönem Schein und Oberflächenkosmetik täuschen lassen. Man kann einen kaputten Motor nicht durch Polieren der Motorhaube reparieren. Ich zitiere aus Jesajas Ansage: Nein – ein Fasten, das mir (Gott) gefällt, sieht anders aus: Löst die Fesseln der Menschen, die man zu Unrecht gefangen hält, befreit sie vom drückenden Joch der Sklaverei und gebt ihnen ihre Freiheit wieder! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! 7 Teilt euer Brot mit den Hungrigen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider! Helft, wo ihr könnt, und verschließt eure Augen nicht vor den Nöten eurer Mitmenschen! 8 Dann wird mein Licht eure Dunkelheit vertreiben… Die Botschaft ist glasklar, sie ist unmissverständlich: Gott will keine Zeremonien und keinen Firlefanz. Gott will keine Wasserprediger, die sich im Wein suhlen. Gott will Menschen, die ihre Augen, ihre Hände, ihr Herz aufmachen, die Not, Mangel und Defizite um sich herum wahrnehmen und etwas dagegen tun. Menschen, die sich nicht gechillt und selbstgerecht zurücklehnen, wenn sie ein Unterlassungsgebot einhalten und dementsprechend nichts tun. Mit unseren Konfis bespreche ich zurzeit die 10 Gebote. Eines der bekanntesten ist: „Du sollst nicht töten!“ Man kann das auf alle Lebewesen ausweiten: auf Schnaken im Schlafzimmer, auf Schmeißfliegen neben der Wurstplatte und auf das Rind für mein Rumpsteak. Doch wir wollen uns auf den ursprünglichen Sinn konzentrieren: das Töten von Menschen. Dann könnte man in der Tat sich locker und entspannt zurücklehnen und denken: „Alles gut, ich hab ja noch nie einen Menschen umgebracht:“ Aber damit ist noch längst nicht alles gut. Wissen Sie, wie Martin Luther das Gebot ausgelegt hat? Er hat gesagt: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unserem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten.“ Luther dreht das komplett um. Da bleibt keine Passivität mehr, hinter der man sich verstecken könnte (ich töte ja keinen…). Wenn ich sehe, dass es einem dreckig geht, dann heißt „Du sollst nicht töten!“: greif ein, greif an, mach und tu etwas, werde aktiv, dass seine/ihre Not gelindert wird. Helfen in schlimmer Not, beistehen, Abhängigkeiten und Macht nicht missbrauchen, solidarisch, großzügig, großherzig, gnädig… sein – das ist die Art Gottesdienst, die Gott sehen will, die ihn beeindrucken und die in seinem Sinn sind. Ein extrem akutes und aktuelles globales Beispiel ist die Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen das böse Virus. Gestern vor einer Woche stand auf der Homepage des BR folgende Meldung:
„In der EU dreht sich im Moment alles darum, möglichst schnell Corona-Impfstoff für die eigenen Bürger zu beschaffen. Dabei hatte Europa eigentlich versprochen, auch armen Ländern zu helfen.
Der äthiopische Mediziner Tedros Ghebreyesus ist Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Seit Beginn der Corona-Pandemie setzt er sich unermüdlich für die Entwicklung von Impfstoffen ein. Doch obwohl mittlerweile einige Vakzine zugelassen sind und produziert werden, ist Tedros enttäuscht. Denn seit die ersten Fläschchen vom Band rollten, könne von einem fairen Zugang keine Rede mehr sein.
In rund 50 wohlhabenden Staaten seien inzwischen schon viele Millionen Dosen verabreicht worden, so Tedros. Im westafrikanischen Guinea seien es gerade mal 25: „25 Impfdosen. Nicht 25 Millionen, nicht 25.000, nur 25. Ich muss es deutlich sagen: Die Welt steht vor einem katastrophalen moralischen Scheitern. Und der Preis für dieses Scheitern wird bezahlt mit dem Leben der Menschen in den ärmsten Ländern der Erde.“ Ein erschütternder Sachverhalt. Guinea steht dabei für viele Staaten in Afrika und auf der ganzen Welt. Europa hat versprochen, weltweit ärmeren Staaten zu helfen, an Impfstoff zu gelangen… Doch – wie hat Erich Kästner das formuliert: „Es gibt nichts Gutes – außer man tut es.“ Was die EU und überhaupt die große Politik tut oder nicht tut, das können wir nicht beeinflussen. Aber was wir selbst tun oder nicht tun, das liegt ganz allein bei uns. Im Himmel bricht blanke Freude aus, wenn wir es schaffen damit aufzuhören so zu tun, als wären wir alleine auf der Welt – und falls wir das schaffen, dann nicht zu meinen, dass die Welt sich wenigstens um uns herum anzuordnen habe. Wir sind nicht exklusiv Gottes Geschöpfe. Die anderen sind es auch. Und genau deshalb gilt die Ansage des Propheten auch uns 2500 Jahre nachdem sie den Israeliten nach der babylonischen Gefangenschaft eingeschärft worden ist:
Teilt euer Brot mit den Hungrigen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider! Helft, wo ihr könnt, und verschließt eure Augen nicht vor den Nöten eurer Mitmenschen!“ Sind wir mal ehrlich: Schwer zu verstehen ist das doch nicht – es ist allenfalls schwer zu tun. Doch wie mickrig ist diese Schwierigkeit gegenüber Gottes Verheißung, die besagt: Dann wird mein Licht eure Dunkelheit vertreiben wie die Morgensonne. Amen