Von Sahnestückchen und Schwarzbrot
Predigt über Römer 12, 1-8 von Pfarrer Klaus Vogel am 1. Sonntag nach Epiphanias, 10. Januar 2021, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim / ONLINE
Kanzelgruß (Römer 12, 1-8; nach der Übersetzung der „Guten Nachricht“)
Unser Leben als Gottesdienst
1 Brüder und Schwestern, weil Gott so viel Erbarmen mit euch gehabt hat, bitte und ermahne ich euch: Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung! Bringt euch Gott als lebendiges Opfer dar, ein Opfer völliger Hingabe, an dem er Freude hat. Das ist für euch der »vernunftgemäße« Gottesdienst. 2 Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an. Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird. Dann könnt ihr euch ein sicheres Urteil bilden, welches Verhalten dem Willen Gottes entspricht, und wisst in jedem einzelnen Fall, was gut und gottgefällig und vollkommen ist.
Gaben und Dienste in der Gemeinde
3 In der Vollmacht, die Gott mir als Apostel gegeben hat, wende ich mich an jeden Einzelnen von euch. Niemand soll sich über andere erheben und höher von sich denken, als es angemessen ist. Bleibt bescheiden und sucht das rechte Maß! Durch den Glauben hat jeder von euch seinen besonderen Anteil an den Gnadengaben bekommen. Daran hat jeder den Maßstab, nach dem er sich einschätzen soll.[5] 4 Denkt an den menschlichen Leib: Er bildet ein lebendiges Ganzes und hat doch viele Teile, und jeder Teil hat seine besondere Funktion. 5 So ist es auch mit uns: Als Menschen, die zu Christus gehören, bilden wir alle ein unteilbares Ganzes; aber als Einzelne stehen wir zueinander wie Teile mit ihrer besonderen Funktion. 6 Wir haben ganz verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade zugeteilt hat. Einige sind befähigt, Weisungen für die Gemeinde von Gott zu empfangen; was sie sagen, muss dem gemeinsamen Bekenntnis entsprechen. 7 Andere sind befähigt, praktische Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen; sie sollen sich treu diesen Aufgaben widmen. Wer die Gabe hat, als Lehrer die Gemeinde zu unterweisen, gebrauche sie. 8 Wer die Gabe hat, andere zu ermahnen und zu ermutigen, nutze sie. Wer Bedürftige unterstützt, soll sich dabei nicht in Szene setzen. Wer in der Gemeinde eine Verantwortung übernimmt, soll mit Hingabe bei der Sache sein. Wer sich um Notleidende kümmert, soll es nicht mit saurer Miene tun.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
dieser Text kann Angst machen. – Jedenfalls auf den ersten Blick. Das scheint richtig Hardcore zu sein, bedrängend, maximal fordernd. Da bin ich erst mal begossen wie der Pudel in der Redensart, wenn – zumindest der Anfangsteil auf mich einprasselt. Wenn das dann noch scharf, laut und im Stakkato mir entgegengefaucht werden würde – meine Güte, da wäre ich so klein mit Hut (…): Das ganze Leben (…) soll Gott zur Verfügung gestellt werden… (kann das etwas Anderes heißen als ins Kloster gehen? Oder als Eremit in die Wüste…) …ich soll mich als lebendiges Opfer darbringen… …und mich in völliger Hingabe opfern… (soll ich selbst auf einen Scheiterhaufen marschieren?) … Ich soll mich von den/allen(?) Maßstäben dieser Welt distanzieren… – was sind diese Maßstäbe, die „Maßstäbe dieser Welt? Oder soll das heißen, dass ich einfach generell und bei allem gegen den Strom schwimmen soll? Schließlich: mein ganzes Denken soll erneuert werden… da fallen mir ganz schnell Begriffe wie Querdenker und Gehirnwäsche ein… – der erste Eindruck bei diesem Bibelwort führt zu keinem weihnachtlich beschwingten, fröhlichen Befund. Er schmettert nieder, er macht klein…
Und wir kommen ja von Weihnachten her, vom Kind in der Krippe, den singenden Engeln, den staunenden Hirten. Am vergangenen Mittwoch sind schließlich noch die Magier aus dem Morgenland/Osten hinzugekommen – besser bekannt als die Heiligen drei Könige – es war (hoffentlich jedenfalls und sicher größtenteils) alles – trotz Corona mal wieder so schön und gemütlich, so ruhig und besinnlich… es war wie lecker Sahnetorte und nun scheint die Torte aufgegessen und es geht mit trockenem Schwarzbrot weiter… es war die ganze Zeit so wundervoll gefühlsbetont und nun nagelt Paulus uns hier auf einen „vernunftgemäßen Gottesdienst“ (V 1) fest.
Klar ist natürlich eines: Es kann nicht jeden Tag Weihnachten sein. Weihnachten ist für jede Familie wie wenn ein Kind geboren wird, wenn wir Eltern werden – Tage, die man nie vergisst, emotionales Highlight für alle Eltern/Sahnetorte und dann wächst das Kind auf und sein Leben beginnt… das heißt aber auch: Krankheiten, Krisen, Kinderarzt, Pubertät, falsche Freunde, Unfälle vielleicht…/ Schwarzbrot. Das Kind wird irgendwann eingeschult – wieder ein schöner, festlicher, üppig gefeierter Sahnetorten-Tag, an dem es u.a. meistens tatsächlich Sahnetorte gibt und dann beginnt das Schulleben… Hausaufgaben, Klassenarbeiten, Prüfungen, Elterngespräche… Schwarzbrot eben.
Unser heutiger Text bildet den Übergang vom Feiertag zum Alltag ab. Von der Sahnetorte zum Schwarzbrot. Willkommen im wirklichen Leben, das Schwarzbrot braucht, und in dem uns Schwarzbrot guttut und gesund ist – es braucht Schwarzbrot weit mehr als es süße Stückchen braucht. Es ist, wie ich finde, ein sehr schöner Zufall, dass Paulus das Thema Erbarmen – Gottes Erbarmen gleich am Anfang anspricht, wo doch die diesjährige Jahreslosung uns an Gottes Erbarmen erinnert und uns motiviert, ausgehend und im Blick auf Gott selber barmherzig zu sein: Seid barmherzig wie auch euer Vater barmherzig ist sagt Jesus in Lukas 6,36. „Weil Gott so viel Erbarmen mit euch gehabt hat“ – so setzt Paulus seinen Auftakt. „Weil ihr Gottes reiche Barmherzigkeit erfahren habt“ – so heißt die Stelle noch fulminanter in der „Hoffnung für alle“. Dieser Anfang ist gleichzeitig auch Scheidepunkt. Nur wenn wir da gleich am Anfang mit können, nur wenn wir da aus vollem und ehrlichem Herzen sagen können: Ja, denn ohne Gott, ohne seine Zuwendung, seine Führung, seinen Segen, ohne seine Behütung und Bewahrung, ohne seine Güte, Nachsicht, Liebe… ohne seine Barmherzigkeit wäre ich heute nicht hier, wäre ich nicht so hier, wie ich hier bin, wäre ich vielleicht überhaupt nicht mehr hier… – wenn wir das so oder so ähnlich für uns ganz persönlich sehen und glauben, – nur dann gelten auch die folgenden Verse. Ich habe sie am Anfang bewusst stark überzeichnet und ins Negative gezerrt, als beängstigend, vereinnahmend und totalitär. Es geht dem Apostel aber nicht darum, dass wir vor lauter Müssen, Druck und Aufopferung nur noch sauertöpfisch, gehetzt, ausgelaugt und freudlos durchs Leben gehen. Es geht ihm hingegen darum, dass wir keine gott-losen Bereiche kultivieren, in denen Gott außen vor wäre, dass unser Christsein sich nicht auf Nischen beschränkt: die Sonntagsnische, die Weihnachtsnische, die Konfirmationsnische, die BrotfürdieWeltnNische, die Gemeindefestnische, die Kindergarten- bzw. Kitanische… es gibt genug dieser Nischen. Demgegenüber soll unser ganzes Leben ein Gottesdienst sein… – darauf will Paulus hinaus. Das Wort „Gottesdienst“ fällt ja auch explizit. Mit gefällt dieser Vergleich sehr gut: mein Leben, mein ganzes Leben lässt sich mit einem Gottesdienst vergleichen, es soll einen Gottesdienst abbilden: Im Gottesdienst höre und antworte ich und tanke auf. Ich höre das Evangelium, ich höre vom großen, vollen, unerschütterlichen „JA“ Gottes zu mir, von den guten, ja himmlischen Aussichten, die mein Leben hat – und ich antworte, ich danke, lobe und preise Gott. Ich lasse mir das Evangelium zusprechen und gesagt sein, ich lasse es auf mich einwirken und mich beleben – ja ich lebe auf, ich blühe auf, ich werde fröhlich, ich kann wieder lachen und meinen Weg getrost, gelassen und mit aller Zuversicht fortsetzen. Wie im Gottesdienst: Hören – antworten – auftanken – das geschieht auf unserem Weg durch die Tage und Wochen – auch dieses neuen Jahres. Auf dem Weg, den wir mit anderen zusammen gehen. Hören wir aufeinander, antworten wir offen, wenn wir gefragt werden, was uns trägt und Kraft gibt und beleben wir gegenseitig unsere Kraftquellen. So kommen wir gut voran auf unserem Weg. – Wohlgemerkt: auf dem Weg durch den Alltag, durch graue Montage und triste Dienstage, den Schwarzbrotweg eben, der aber ein guter Weg ist, weil wir uns gegenseitig haben und weil es ein Weg mit Gott ist, ein Weg im Auftrag des Herrn und am Ende ein Weg zum Herrn. AMEN.