Gottes Servicepersonal
Predigt über 2 Kor 6, 1-10 von Pfarrer Klaus Vogel am Sonntag Invocavit, 6. März 2022, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenz-/Hybridgottesdienst
Kanzelgruß
2 Kor 6, 1-10; Übersetzung nach Martin Luther
1 Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.
2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde;
4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten,
5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten,
6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,
7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,
8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig;
9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet;
10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
„Wenn nicht jetzt, wann dann?
Wenn nicht hier, sag mir, wo und wann?
Wenn nicht du, wer sonst?
Es wird Zeit, nimm dein Glück selbst in die Hand…“
Die Kölner Band „Die Höhner“ lässt grüßen mit ihrem Megasong „Wenn nicht jetzt wann dann?“ Ein Lied über die gigantische Größe des Augenblicks, ein Lied vom ungeheuren Potential der aktuellen Gegenwart, ein Lied vom einzigartigen Momentum. – Geradezu das Lied zum Text des Paulus, der schreibt: „Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ (V 2) – Und gleichzeitig kommt die Rede von der willkommenen Zeit und dem Tag des Heils spätestens seit dem 24. Februar derart unpassend und falsch daher, dass es wehtut. Es gibt ja – unabhängig vom 24. Februar – Menschen, die ersäuft ihre Not fast. Ich denke an Hinterbliebene, Familie und Freunde der vier Menschen, die in Unteröwisheim am vergangenen Dienstag im Flammeninferno ums Leben gekommen sind. Aber auch wir haben heute Menschen unter uns, die in Trauer sind, weil eine liebe Angehörige gestorben ist. Im Krankenhaus liegen Menschen, die mit einer furchtbaren, oft unheilbaren Krankheit kämpfen und die eine Höllenangst vor dem einen Wort haben, das sie auf keinen Fall fallen hören möchten: austherapiert… – also der Beginn der palliativen Behandlung. Oder Menschen, die beruflich und/oder privat gescheitert sind oder die die Wohnung gekündigt bekommen haben und absolut nichts – jedenfalls nichts Bezahlbares finden. Schließlich Menschen, die unter dem Schneckentempo der Fortschritte beim Klimaschutz leiden. Es gibt so fürchterlich viele, die gar keinen Krieg brauchen, um die Gegenwart als unwillkommen – ja als katastrophal und heillos zu empfinden. Und dann… oben drauf, on top dieser Krieg. Dieses unsägliche, uferlose Leid, die vielen Toten und Verletzten, Fliehende, deren Zahl in die Millionen geht, die unvorstellbare und kaum fassbare Zerstörung in weiten Teilen des Landes… – …und alles so völlig sinnlos. Ausgegangen vom kranken Kopf eines kranken Mannes.
„Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ Stimmt das denn? Kann das heute stehen bleiben? Im Griechischen steht hier nicht einfach Zeit. Das hieße Chronos (Chronologie, Chronometer…). Paulus gebraucht ganz bewusst das Wort Kairos. Kairos heißt der günstige, der gute, der göttliche Zeitpunkt – in der Lutherübersetzung ist von willkommener Zeit die Rede. Dadurch ist jetzt der Tag des Heils. Die Frage, die sich stellt ist, wie kann in der Zeit des Unheils der Tag des Heils sein? Aufschlussreich finde ich die Anrede des Paulus gleich am Anfang: „Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch…“ Mitarbeiter – im griechischen steht da das Verb zu Synergie. Es meint die, die am Zustandekommen von Synergie, von Effizienz und maximaler Wirksamkeit beteiligt sind, die Mitwirkenden, die völlig auf Augenhöhe Mitagierenden, deren Wirken mit ausschlaggebend ist. Für Paulus sind dies die Christen in Korinth. Heute sind das wir. Wir sind angesprochen, aufgerufen und aufgefordert, dem Unheil dieser Welt Gottes Heil entgegenzusetzen. Es gibt schon längst Gelegenheiten und Möglichkeiten, den überfallenen Menschen in und aus der Ukraine, beizustehen und etwas zu tun, aktiv zu werden durch Beten, durch Geld- und Sachspenden oder indem man Wohnraum zur Verfügung stellt. Wir sind da wahrscheinlich erst ganz am Anfang. Der Weg wird lang und die Mühen werden riesig sein. Doch gemeinsam ist es zu schaffen – zusammen auch mit anderen, die ihre Motivation nicht aus dem christlichen Glauben haben. Wir aber können – was heißt können? – wir sollten uns an Jesus orientieren und seiner großen Rede in Mt 25: „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet…“ – Und schließlich antwortet Jesus auf die Frage, wann das gewesen sein soll: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Ganz sicher haben wir als einzelne Christinnen und Christen auch noch andere Aufgaben und Pflichten, Herausforderungen und To Dos – aber hinter denen sollten wir uns nicht verstecken angesichts des Leids in und aus der Ukraine. Paulus schreibt ja: „Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes.“ „…in allem erweisen wir uns als Diener Gottes.“ Das griechische Wort für „Diener“ ist im Urtext „Diakon“. Paulus beschreibt hier also alle Christen als Diakone Gottes. In seiner ursprünglichen Bedeutung heißt Diakon: Aufwärter zu Tisch, Aushilfskellner, Diener. Christen sind demnach also Kellner, wobei das heute ja nicht mehr Kellner, sondern Servicekraft heißt. Das ist ein Bild – ein, wie ich finde, interessantes Bild. Ein Bild, bei dem es einiges nachzudenken gibt. Christen – wir Christen als Servicekräfte. Servicekräfte Gottes.
Ich lade Sie ein, das – vielleicht auf dem Heimweg – für sich durchzuspielen: Was sind das denn für Tische, an denen wir als Servicekraft im Einsatz sind und wie viele Tische haben wir zu bespielen, zu bedienen, zu betreuen? Wo stehen die Tische – und wer sitzt daran? Wie geht eine gute Servicekraft mit Kritik um und wie mit Lob? Welche Aufmerksamkeit schenken wir unseren Gästen – und wie oft? Servicekraft Gottes zu sein ist ein absoluter Traumjob – da kann es keine Zweifel geben. Wir sind damit Teil von Gottes Team. Wir stehen auf Gottes Liste und sind in seiner Obhut; auf der sicheren, der richtigen Seite. Damit gibt es für uns eine weitere Wirklichkeit, die bedeutet, dass es an den wichtigen Stellen unserer Lebenswahrnehmung und unserer Befindlichkeit nicht – nicht nur so ist, wie es aussieht. Paulus verdichtet das am Ende seiner Gedanken – wie ich finde – sehr eindrücklich: Als Teil von Gottes Servicepersonal, von seinem Team, als seine Dienerinnen und Diener haben wir himmlische Aussichten, eine himmlische Zukunft, weil wir eine himmlische Heimat haben. Das beflügelt Paulus zu den ganz starken Sätzen am Ende, mit denen auch ich ans Ende kommen möchte: Erweisen wir uns als Diener Gottes, die nichts erschüttern kann, die gelassen bleiben und ihre Hoffnung nicht verlieren… „…als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.“ Amen.