Das Beste kommt noch
Predigt über Joh 2, 1-11 von Pfarrer Klaus Vogel am 2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim / ONLINE
Predigt
Kanzelgruß
Liebe Gemeinde,
bestimmt haben Sie sich auch schon – die meisten vielleicht schon öfter – so richtig verschaukelt gefühlt. Verschaukelt, weil ihnen etwas vorgegaukelt worden ist. Das Foto auf dem Urlaubsprospekt, dessen Rand genau da aufhört, wo die lärmende Baustelle, die laute Straße oder der versiffte Strandabschnitt zu sehen wäre. Oder: der atemberaubende Meerblick, der vom Balkon nur zu sehen ist, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellt, der Blick aufs Meer, von der tsunamisicheren Fewo, die sich am Hang und 100 Meter höher als das Meer befindet. Nur blöd, dass das mit keinem Wort irgendwo stand. Bei sogenannten Kaffeefahrten sind solche Erfahrungen ja gang und gäbe. Da stellt sich vielleicht beim viergängigen Menü das Dessert als Billigriegel und Plombenzieher heraus und der kostenfreie Wein ist eine saure ungenießbare Brühe, die schon mit dem ersten Schluck den Magen umdreht. Apropos Wein: Um Wein – allerdings um einen ganz anderen geht es auch in unserem heutigen Predigttext, den uns die Ordnung unserer Kirche vorgibt: Er steht in Joh 2, 1-11:
Jesus auf der Hochzeit in Kana
1 Zwei Tage später wurde in dem Dorf Kana in Galiläa eine Hochzeit gefeiert. Die Mutter von Jesus war dort, 2 und auch Jesus hatte man mit seinen Jüngern eingeladen. 3 Als während des Festes der Wein ausging, sagte seine Mutter zu ihm: »Es ist kein Wein mehr da!« 4 Doch Jesus antwortete ihr: »Es ist nicht deine Sache, mir zu sagen, was ich tun soll! Meine Zeit ist noch nicht gekommen!« 5 Da sagte seine Mutter zu den Dienern: »Was immer er euch befiehlt, das tut!« 6 Nun gab es im Haus sechs steinerne Wasserkrüge. Man benutzte sie für die Waschungen, die das jüdische Gesetz verlangt. Jeder von ihnen fasste 80 bis 120 Liter. 7 Jesus forderte die Diener auf: »Füllt diese Krüge mit Wasser!« Sie füllten die Gefäße bis zum Rand. 8 Dann ordnete er an: »Nun bringt dem Mann, der für das Festmahl verantwortlich ist, eine Kostprobe davon!« Die Diener befolgten seine Anweisungen. 9 Der Mann probierte das Wasser: Es war zu Wein geworden! Er wusste allerdings nicht, woher der Wein kam. Nur die Diener wussten Bescheid. Da rief er den Bräutigam zu sich 10 und hielt ihm vor: »Jeder bietet doch zuerst den besten Wein an! Und erst später, wenn die Gäste schon betrunken sind, kommt der billigere Wein auf den Tisch. Aber du hast den besten Wein bis jetzt zurückgehalten!« 11 So vollbrachte Jesus in dem Dorf Kana in Galiläa sein erstes Wunder. Er offenbarte damit zum ersten Mal seine göttliche Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.
Kanzelgebet
Am vergangenen Sonntag hat uns – jedenfalls, wenn wir letzte Woche den Predigttext zur Kenntnis genommen haben – der Apostel Paulus mit der Aufforderung konfrontiert: „Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an…“ (Röm 12, 2). Heute begegnen wir einem solchen Maßstab in den Worten des Speisemeisters, wie der Mann, der für die Verpflegung zuständig ist, in der Lutherübersetzung genannt wird. Er sagt: »Jeder bietet doch zuerst den besten Wein an! Und erst später, wenn die Gäste schon betrunken sind, kommt der billigere Wein auf den Tisch. Aber du hast den besten Wein bis jetzt zurückgehalten!« Das sind – sicher nicht bei einer heutigen Hochzeit, wo sündhaft teure Eventagenturen und Betreiber extrem kostspieliger Party Locations absolut nichts dem Zufall überlassen – das sind aber bei anderen Gelegenheiten absolut die Maßstäbe dieser Welt. Ich habs ja am Anfang aufgezählt: Es wird geblendet und auf den ersten Blick ist alles toll – auf dem Prospekt, dem Katalog und wo auch immer. Aber der zweite Blick ist filterfrei und verstörend. Er entlarvt das, was zuerst war, als Illusion bzw. Täuschung. Oft ist das tatsächlich der Maßstab dieser Welt: Erst mal die Leute einkassieren und abkassieren, erst mal blenden und täuschen, erst mal verkaufen, erst mal vertraglich binden. So wie in dieser Wundererzählung, wo wir in den Worten aus dem Mund des Speisemeisters dieser geläufigen Strategie begegnen: Erst mal die Leute alkoholisieren und abfüllen – bis zum Abwinken – mit dem besten des vorhandenen Weins und dann, wenn es nur noch um Quantität geht, den Fusel hervorholen. Sie sind ja dann alle besoffen und merken nicht mehr was sie in sich hinein kippen, was sie schlucken.
Kommt also das (scheinbar) Beste am Anfang? Selbst Hermann Hesse scheint das so zu sehen mit seinem berühmten Satz vom Zauber, der jedem Anfang innewohnt.
Oder kommt das Beste stets zum Schluss, zuletzt? – Diese Überzeugung habe ich tatsächlich in einem Ranking der schlechtesten und falschesten Redensraten gefunden. Ich zitiere mal: Diesen Spruch finden wir schon im Sprichwörterlexikon aus dem 19. Jahrhundert.
Doch was soll das heißen?
Worauf bezieht es sich? Ganz bestimmt nicht auf eine Party, denn gegen Schluss nimmt der Alkoholpegel zu und die Qualität der Gespräche ab. Der Kater am nächsten Morgen kann ja wohl auch nicht gemeint sein! Oder bezieht es sich auf das Leben selbst? Bestimmt nicht, wenn man an Altersheim, Krankheit und Tod denkt. Wie sagte schon Woody Allen: „Meine Einstellung zum Tod hat sich nie geändert: Ich bin vehement dagegen.“
Also seien wir mal ehrlich:
Das ist doch eine Mutmachfloskel, eine billige Durchhalteparole. Daran ändert auch der nette Film mit Morgan Freeman und Jack Nicholson nichts! Aber wie das so ist mit Sprichwörtern: Man äußert sie dann, wenn es passt. Und das ist bei diesem wohl eher selten! Am besten man sagt ihn nur dann, wenn man selbst zu spät kommt.“ (https://www.redensarten-index.de/schlechteste.php?id=2)
Eine glasklare Position, die sich in unseren Alltagserfahrungen ständig neu abbildet und die kaum wegzudiskutieren ist: „Das Beste kommt nicht zum Schluss!“ – und wie war das nochmal bei Max und Moritz: „Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!“?
Das Prinzip, dass das Beste am Schluss kommt, finden wir allerdings auch bei der Abfolge der erzählten Wunder im Johannesevangelium: das Weinwunder ist das erste. Es ist beileibe kein billiges, einfaches Einstiegswunder – doch das letzte Wunder Jesu, das uns Johannes in Kapitel 11 erzählt, stellt dieses erste weit in den Schatten: Es ist die Auferweckung des Lazarus nachdem dieser schon 4 Tage tot war und die Verwesung ganz deutlich wahrnehmbar begonnen hatte – das beste, der große Knaller kommt zum Schluss.
Doch zurück zu unserem heutigen Bibelwort: Auch da kommt innerhalb dieses ersten Wunders Jesu das Beste zum Schluss: Der beste Wein, der edle Tropfen kommt am Ende.
Wer sich (in diesem Leben) Christus anschließt, wer Christus einlädt und einlässt ins Leben, wer Christus im Leben sucht, wer sich von ihm finden lässt, der/die erahnt, erlebt, erspürt die göttliche Herrlichkeit in diesem Leben immer wieder… Nicht jeden Tag und jeden Augenblick. Unser Leben bleibt ja grundsätzlich ein Leben im oft mühsamen Diesseits mit all seinen Kanten, Klippen und Krisen, die wir im Schweiße unseres Angesichts zu bewältigen haben.
Doch unsere Perspektive, unsere Hoffnung, unsere Aussicht und Verheißung die sind das Gegenteil von Max und Moritz. Die reichen hin zu und reichen her von der göttlichen Herrlichkeit, vom Leben in wundervoller Hülle und Fülle, die Jesus erfahrbar gemacht hat. Die göttliche Herrlichkeit ist das Ziel, die Aussicht unseres Daseins. Das Beste, das mit Abstand Schönste, Größte und Fulminanteste kommt am Schluss – und am Schluss meiner Predigt eine kleine, wie ich finde, bewegende Geschichte, die das liebevoll aufnimmt. Ich weiß nicht, ob sich dies je wirklich zugetragen hat – doch das spielt überhaupt keine Rolle…
Und nun zu der Frau, bei der eine unheilbare Krankheit diagnostiziert worden ist. Der Arzt sagte ihr, sie hätte nicht mehr lange zu leben.
So fing sie also an, alles zu regeln.
Sie rief auch den Pfarrer an, und bat ihn zu ihr zu kommen, um ihre Wünsche für die Beerdigung abzusprechen.
Sie sagte ihm, welche Lieder gesungen werden sollten, welche Bibeltexte gelesen werden sollten und so weiter und dass sie ihre Bibel in der linken Hand halten wolle.
Als der Kollege gehen wollte, erinnerte sich die Frau an ein wichtiges Detail, das sie vergessen hatte.
„Herr Pfarrer, eins noch…“, sagte sie aufgeregt.
„Das ist auch noch sehr wichtig für mich! Ich möchte, dass ich einen Kaffeelöffel in meiner rechten Hand halte, wenn ich im Sarg aufgebahrt werde.“
„Das überrascht Sie sicher.“ fuhr die Frau ruhig fort. „Oh ja!“, stammelte dieser.
Die Frau fing an zu erklären: „In all den Jahren, in denen ich an den vielen Empfängen und Festen in unserem Gemeindehaus teilnahm, wurde ich immer mal wieder daran erinnert, meinen Kaffeelöffel zu behalten, wenn das Geschirr abgeräumt wurde. ‘Behalten Sie ihren Kaffeelöffel – irgendeiner sagte es bestimmt. Und ich freute mich dann immer, denn ich wusste, dass noch etwas besonders Gutes kommen würde! Leckere Schokoladendesserts, Kuchen, Apfelstrudel oder Eis. Irgendetwas wunderbares, was das große Mahl perfekt abrundete.“ Das Highlight, das Beste, das Besondere, das Atemberaubende kommt am Ende – es kommt – Amen.