Von weißen und von schwarzen Hüten
Predigt von Pfarrer Klaus Vogel am 23. August 2020, 11. Sonntag nach Trinitatis, gehalten in der Evangelischen Kreuzkirche zu Kraichtal-Unteröwisheim sowie in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim
Kanzelgruß
Text Lukas 18, 9-14
Liebe Gemeinde,
von 1978 -1986 kam an jedem Freitagabend im ZDF um 17.25 Uhr die Serie „Western von Gestern.“ – Ich habe früher recht gerne Western geschaut und da kamen wöchentlich alte Cowboyfilme in schwarz-weiß und mit schlechtem Ton. Die Handlung war absolut überschaubar: Gut gegen Böse. Und immer konnte ich mir sicher sein: Der Gute wird gewinnen, auch wenn seine Situation noch so hoffnungslos aussah. Am Ende ritt er immer in den Sonnenuntergang aus Grautönen und die Welt war in Ordnung.
Bei diesen Filmen wusste man von Anfang, wer der Gute und wer der Böse war. Denn: Der Gute trug immer einen weißen Hut und der Böse einen schwarzen. Das war gesetzt.
Wenn der Sheriff, einen schwarzen Hut trug, dann entpuppte der sich mit Sicherheit als Halunke. Auch dann, wenn man im ersten Moment gar nicht damit rechnete. Wenn eine Gestalt noch so komisch aussah, aber einen weißen Hut trug, war alles in Ordnung. Dem konnte man sämtliche schutzlosen Frauen und Kinder anvertrauen. Die Rollenverteilung war sonnenklar und übersichtlich. Das waren noch Filme. Da gab es noch Helden mit weißen Hüten.
In der Bibel finden wir ein Gleichnis, das Jesus einmal erzählte. Und im ersten Moment scheint es auch hier klar zu sein, wer den schwarzen und wer den weißen Hut trägt. Hören Sie selbst. Der Text steht in Lukas 18, 9-14:
9 Er (Jesus) sagte aber zu einigen, die von sich selbst überzeugt waren, dass sie gerecht wären, und die übrigen verachteten, das folgende Gleichnis:
10 „Zwei Menschen gingen zum Tempel hinauf um zu beten. Der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich selbst dieses Gebet: „Gott ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen – Räuber, Ungerechte Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner da.
12 Ich fast zweimal in der Woche und verzehnte alles was ich erwerbe“.
13 Der Zöllner aber stand weit ab und wollte nicht die Augen zum Himmel heben. Er schlug sich vielmehr an seine Brust und sagte: „Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!“
14 Ich sage euch, dieser ging im Unterschied zu jenem als Gerechtfertigter nach Hause hinunter. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Die Situation scheint sonnenklar zu sein. Die Hüte sind schnell verteilt. Der Pharisäer kriegt den schwarzen. Wer sich so verhält, der hat ihn sich selbst aufgesetzt. Sein Gebet trieft ganz widerlich vor Hochmut und Stolz. Wer so selbstsicher betet, ist überheblich. Außerdem ist es eine Schande, wie er über andere denkt.
Der Zöllner ist da ja ganz anders. Der macht sich und uns nichts vor. Er ist wenigstens ehrlich. Wer so redet ist ein frommer Mensch. Deswegen kriegt der den weißen Hut.
Der Kommentar von Jesus bestätigt uns das noch einmal: „Ihr könnt sicher sein, dieser ging im Unterschied zu jenem als Gerechtfertigte nach Hause hinunter.
Wir liegen also anscheinend richtig. Die Rollen sind anscheinend verteilt. Jeder trägt den Hut, den er verdient.
Wir dürfen dieses Gleichnis aber auf keinen Fall zu schnell abhaken. Machen wir uns zunächst folgendes bewusst: Die jüdischen Zuhörer haben damals, wenn das Wort Pharisäer fiel, an einen unbedingt und zweifellos ehrenwerten Menschen gedacht. Das Neue Testament ist bei den Pharisäern insgesamt sehr tendenziös. Es macht sie aus der Sicht von 40 und mehr Jahren nach Jesu Tod schlecht, weil mitverantwortlich für die vielfache Ablehnung Jesu im Judentum, Deshalb wird der Begriff bis heute bei uns als Schimpfwort gebraucht: „Du Pharisäer… / So ein Pharisäer…“ – gemeint ist stets: so ein Heuchler, so ein falscher Fuffziger, so ein Täuscher, Scheinheiliger, Miesling, Wasserprediger und Weintrinker. Die Zuhörer von Jesus waren aber völlig anders gepolt. Bei ihnen waren die Pharisäer angesehen, geachtet und ehrenwert.
Wenn Jesus also einen Satz angefangen hat: Ein Pharisäer tat einmal dieses und jenes… – dann haben sie bewundernd zugehört und waren sich sicher: Jetzt kommt die Geschichte von einem Weißenhutträger, einem Vorbild, einem Guten, einem Gutmenschen. Eine Geschichte von einem/-r wie Albert Schweitzer es war oder Mutter Theresa oder Karlheinz Böhm oder Florence Nightingale oder Elisabeth von Thüringen. Dieser fiktive Pharisäer hat wie die meisten Pharisäer das Gesetz übererfüllt: statt einmal im Jahr (am Versöhnungstag) hat er zweimal die Woche gefastet und er hat von seinen Einkünften und von seinen Einkäufen den Zehnten abgeführt. Nötig wäre es nur von den Einkünften gewesen.
Wenn Jesus dagegen angefangen hat, von einem Zöllner zu erzählen, dann erwarteten sie Infos oder Geschichten von einem Gangster und Beutelschneider, einem geldgierigen Raffzahn und skrupellosen Geldabknöpfer. Etwa so, wie wen ich Ihnen eine Geschichte von einem Zuhälter, einem Drogenbaron, einem Menschenhändler, Kinderschänder oder einem Geldwäscher erzählen würde.
Am Anfang der Geschichte bzw. des Gleichnisses, wie es Jesus damals erzählt hat, hatte der Pharisäer in der Vorstellung der damaligen Zuhörer also ganz klar den weißen Hut auf und der Zöllner den schwarzen.
Am Ende der Geschichte ist es anders herum, da hat sich das komplett gewendet und die Hüte sind getauscht.
Und das ist der erste Teil von dem, was Jesus uns hier zeigt: Macht es euch nicht zu leicht, nicht zu einfach, nicht zu bequem; gebt euch nicht mit Klischees zufrieden und lebt nicht in und mit ihnen. Nagelt niemanden für immer fest im Sinne von einmal Gutmensch – immer Gutmensch bzw. einmal Verbrecher – immer Verbrecher. Die Geschichte, die uns Jesus erzählt, die kämmt dieses alles gegen den Strich: Der Pharisäer outet sich als aufgeblasener, selbstherrlicher und hochmütiger Widerling und der Zöllner als bekennender, reu- und demütiger Sünder, der schier unter der Last, der ihm bewusst gewordenen Verfehlungen zusammenbricht. Also: Vorsicht, Vorsicht, vor festgezurrten Festlegungen, Vorsicht vor Schwarz-Weiß-Denken, Vorsicht vor in Stein gemeißelten Überzeugungen.
Der zweite Teil der Lektion ist die Warnung davor, abzuheben, den Boden unter den Füßen zu verlieren, die Warnung vor Hybris, das heißt vor Hochmut, Überheblichkeit und Vermessenheit. Wir erinnern uns an den Anfang:
Jesus erzählt das Gleichnis nur „einigen, die von sich selbst überzeugt waren, dass sie gerecht wären, und die übrigen verachteten“. Es ist ein bisschen wie Nachsitzen; eine Extralektion für die chronisch Hochmütigen. Und dann lässt Jesus den Pharisäer im Gleichnis ein Gebet sprechen, bei dem es einem die Fußnägel zusammenrollt: „Gott ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen – Räuber, Ungerechte Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner da…“ Da fragt man sich doch: Zu welchem Gott betet der da eigentlich? Was für ein Gottesbild hat dieser Pharisäer? Weiß er wirklich nicht, dass Gott nicht mit denen paktiert, die sich selbst erhöhen?
Der letzte Satz, den Martin Luther ganz kurz vor seinem Tod auf einen Zettel geschrieben und den man erst nach seinem Tod auf seinem Schreibtisch gefunden hat, lautet: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ – Ein nach meinem Geschmack bärenstarker Satz. Wir haben Gott nichts vorzuweisen; wir werden am Ende keine Vorleistung erbracht haben, wir werden nichts haben, womit wir irgendwelche Ansprüche begründen könnten. Wir können nur, bettlergleich, dankend und dankbar empfangen, was Gott uns zukommen lässt – das ist allerdings weit mehr als wir uns vorstellen können – und so etwas wie ein weißer Hut wird auch dabei sein. Amen.