Predigt am 22.07.2018 – 8. Sonntag nach Trinitatis
Quellen des Lebens
Liebe Festgemeinde,
„Quellen des Lebens“ haben wir unserem diesjährigen Gemeindefest als Thema gegeben. Eine Quelle ist immer etwas, was gibt, was zur Verfügung stellt, was mir zukommt, wo ich Nehmender sein kann. Es geht also nicht um unsere Pflichten und Verpflichtungen, nicht um die Sollwerte und Sollzahlen, die uns von außen aufgedrückt werden nicht um all das, was wir von uns aus bringen, leisten, ausstoßen müssen, nicht um die verschiedenen Hamsterräder, in denen wir hängen und kämpfen, nicht um Leistungsnachweise, Abgabefristen, und Aufgabenkataloge. Bei den Quellen, die außerhalb von mir liegen bin ich immer Empfangender. Die Frage dabei ist, ob auch alles gut ist und gut tut, was ich empfange.
Ganz einfach fällt die Antwort bei den Quellen aus, die ich überhaupt nicht benötige, die so unnötig sind wie eine Reifenpanne auf der Urlaubsfahrt: Lärmquellen zum Beispiel. Wenn in der Nachbarschaft gebaut oder ein Haus abgerissen wird, dann merke ich ganz neu, wie wohltuend Stille und Ruhe sein können. Wenn ich mir ein Haus neben einer Kirche kaufe und nicht so wirklich auf Glockengeläut stehe, dann merke ich das sicher auch. Unser Leben hat auch seine Fehlerquellen. In Gefängnissen sitzen Menschen, die Fehler gemacht haben… in Krankenhäusern liegen u.a. Menschen, die einen Fehler gemacht haben: beim Umgang mit Strom, dem Fahrrad, dem Auto, im Schwimmbad… vor Scheidungsgerichten stehen Menschen, die einen Fehler gemacht haben. Manche, wie ein Ex-Tennisstar oder auch ein Altbundeskanzler kommen da so oft zum Stehen, dass man meinen könnte sie hätten eine Dauerkarte beim Scheidungsgericht wie im Fußballstadion… als ob sie richtig Gefallen daran gefunden hätten – oder es hat sich bei ihnen die Ehe als solche als Fehlerquelle herausgestellt – auch das scheint es ja zu geben. Die Fehlerquellen in unserem Leben versuchen wir normalerweise möglichst still zu legen oder ihre Schüttung, ihren Ausstoß so gering wie möglich zu halten. Bei den Gefahrenquellen tun wir das auch – wir versuchen es jedenfalls. Dabei denken wir sicher zuerst an Mord, Einbruch und Totschlag, an Gewaltverbrechen oder tödliche Verkehrsunfälle und machen uns nicht bewusst, dass seit Jahren die Gefahr, einfach nur zu Hause durch einen Unfall zu Tode zu kommen die mit Abstand größte Gefahrenquelle ist. Zu Hause sterben fast dreimal mehr Menschen als im Straßenverkehr. Gefahrenquellen in unserem häuslichen Umfeld sind vielleicht die am meisten unterschätzten Quellen unseres Lebens.
Schauen wir nun aber auf die Energie- und Kraftquellen unseres Lebens. Mit unseren Kraftfahrzeugen fahren wir an die Tanke und füllen Kraftstoff ein. Die Werbung hat einen Großteil der Menschen dazu gebracht, dass sie meinen genau dort auch für sich selbst Energie tanken zu können oder gar zu müssen. Dann wird an der Kasse noch die süßklebrige Coffein-/Taurinbrause mitgenommen und alles ist gut – vor allem natürlich die Gewinnmargen des milliardenschweren Konzerns, der so einen komischen Namen hat wie RasenBall, RosenBeet, RiesenBoot, RübenBrot, oder weiß der Geier wie die heißen.
Aber was gibt uns wirklich Energie? Was lädt unseren Akku tatsächlich auf? Was belebt und erfrischt uns jenseits von Wach- und Muntermachern? Was tut unserer Seele gut? Natürlich gibt es Unzähliges, das gut tun kann: Wald und Natur, lesen und meditieren, Gespräche, Ausflüge, spielen, basteln und vieles mehr. Für heute kann ich ihnen ein Experiment vorschlagen. Wenn sie heute noch etwas hier bleiben auf dem Gemeindefest und wenn sie dann gegessen und getrunken haben und vielleicht noch am Tisch sich eine Weile angeregt unterhalten haben, dann gehen sie mal einfach so – möglichst allein in die Kirche. Es ist wie wenn sie mit der Schwelle eine andere Welt betreten. Eine Welt voller Stille, voller Ruhe und Andacht. Ein Ort voll mit ganz viel gefühlter Gottesnähe. Ein Ort, der durch seine einzigartige Ausstrahlung jedenfalls einlädt, Gott näher zu kommen und näher zu sein. Ein Ort, der wie eine gigantische göttliche Quelle mich speist mit Gelassenheit und mich persönlich ausgeglichen und zufrieden werden lässt. Viele meinen ja, es seien die sprudelnden Geldquellen, die man sich erschlossen hat, die dem Leben entscheidend gut tun. Da sagt einmal eine Frau zu Ihrem Liebhaber: „Schatz, liebst du mich eigentlich nur weil mir mein Vater ein großes Vermögen hinterlassen hat? Darauf der Liebhaber: Aber Liebes, natürlich nicht! Ich würde dich immer lieben, egal von wem du das Vermögen hast.“
„Geld macht nicht glücklich aber es beruhigt die Nerven“ – so heißt die bekannte Redensart. Der Goldesel im Märchen vom „Tischlein deck dich“ steht für solche Geldquellen, die unsere Phantasie beflügeln, weil sie immer und unaufhörlich sprudeln und nur ein kleines Luxusproblem schaffen, nämlich wohin mit dem vielen und immer größer werdenden Reichtum? Natürlich brauchen wir alle unsere Geldquellen – aber die müssen nicht gigantisch sein. Schon wenig reicht – und unser Glück steigt überhaupt nicht mit dem Ausstoß der Moneten. Wie sagte nochmal Jesus zum reichen Kornbauer?
Lk 12, 20f: »Wie dumm du doch bist! Noch in dieser Nacht wirst du sterben. Wer bekommt dann deinen ganzen Reichtum, den du angehäuft hast?‹«
Und Jesus schloss mit den Worten: »So wird es allen gehen, die auf der Erde für sich selber Reichtümer anhäufen, aber mit leeren Händen vor Gott stehen.«
In der Natur da faszinieren uns Wärmequellen: Das nächtliche Feuer, an dem wir uns aufwärmen können, die Frühlingssonne, die den Winter vertreibt, das warme Thermalwasser, das aus den Tiefen der Erde strömt und uns seine Heilkraft schenkt. Wärmequellen sind unverzichtbar und erhalten unser Leben. Stellen sie sich einen Winter ohne Heizung vor. Wir brauchen die Wärmequellen aber auch dann, wenn die Außentemperatur völlig in Ordnung ist. Menschen sind ganz oft Wärmequellen für andere: Für Kinder die Eltern und Großeltern, die Tanten, für Eltern Kinder, die nette Nachbarschaft, die verständnisvolle Kollegin oder Freundin. Als Kirche versuchen wir im Auftrag Gottes und entscheidend mit seiner Unterstützung Wärmequelle zu sein. Ort, an dem Menschen aufatmen und aufblühen können, wo Verletzungen heilen, Ort, an dem gute Begegnungen stattfinden und gute Worte gesagt werden. Wo Worte wohltuend wirken und aufbauen, wo Worte die Seele streicheln und Selbstvertrauen aufbauen. Jedenfalls nicht so wie in folgender Begebenheit, wo die Frau zu ihrem Mann sagt: „Schatz? Ich fühle mich nicht wirklich hübsch. Ich bin so dick und auch alt geworden und brauche jetzt dringend ein Kompliment!“ Darauf der Mann: „Liebes, du besitzt eine wunderbare Beobachtungsgabe.“
Der Ausgangspunkt von gelingendem Leben und überhaupt von allem sind Gottes gute Worte an uns, an seine geliebten Menschen. Worte wie Balsam, Worte wie Wunderpillen, Worte wie Zaubertropfen. Worte von Propheten und Psalmisten: „Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ „Denn ich bin arm und elend; der Herr aber sorgt für mich.“„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen.“ „Herr deine Güte reicht, so weit der Himmel ist und deine Wahrheit so weit die Wolken gehen.“ „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ – Sie ahnen kaum, wie lange ich das noch fortsetzen könnte – aber wir wollen schließlich auch noch irgendwann hier zu Mittag essen… Als Kirche sitzen wir an der sprudelnden Quelle von Gottes unendlich vielen und maximal guten Worte. Und wir dürfen selbst davon trinken, nehmen, aufnehmen jeden Tag so viel wir wollen. Und wir dürfen davon freigiebig austeilen an alle Menschen um uns herum. Erinnern sie sich an die diesjährige Jahreslosung? Es ist das wunderbare Wort aus der Offenbarung, ein Wort wie gemacht für unser heutiges Gemeindefest: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offb 21, 6).
Vor gut fünf Wochen war ich an der Donauquelle gestanden. Ich meine die Bregquelle an der Martinskapelle bei Furtwangen. Auch wenn man nur wenig erwartet, besteht erhöhte Enttäuschungsgefahr. Ein müdes kleines Rinnsal macht sich da auf den Weg den Berg hinunter. Unser Dorfbach da unten ist im Vergleich dazu ein richtiges Flussungeheuer. Dass nach 2857 Kilometern der zweitgrößte und zweitlängste Fluss Europas ins Schwarze Meer mündet mit einem durchschnittlichen Abfluss von fast 7000 Kubikmetern pro Sekunde kann man sich an dieser Quelle beim besten Willen nicht vorstellen. Bei der Donau kommt noch hinzu, dass es deutlich Konkurrenz um ihr Quelle gibt. Für manche ist die Brigachquelle genauso auch Donauquelle – denn, das hat man früher in Erdkunde noch gelernt: „Brigach und Breg bringen die Donau zu Weg!“. Auch im Schlosspark im schönen Donaueschingen reklamiert man für sich, die Donauquelle gefasst zu haben. Schließlich sagen auch viele, dass eineinhalb Kilometer vom Schloss entfernt, am Zusammenfluss der beiden fast gleich kleinen Flüsse Brigach und Breg der Anfang, der Ursprung der Donau ist. Was macht den Reiz aus, die Quelle eines Flusses auf seiner Gemarkung zu haben und schließlich an der Quelle eines Flusses zu stehen? Denn das sind ja immer touristische Anziehungspunkte mit reichlich Publikumsverkehr. Da weht stets der Hauch des Besonderen. Ein bisschen spielt da vielleicht Hermann Hesses großer Satz eine Rolle, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Aber es ist bei der Quelle eines großen Flusses noch viel mehr. Es ist die Besonderheit, dass es genau diese Quelle ist, die den Anfang macht. Neben den bei der Donau Abertausenden von anderen Quellen, die den Fluss direkt und indirekt speisen, ist es genau die eine, die hervorgehoben ist, genau die eine, die besondere Bedeutung hat, weil sie den Anfang setzt.
Für mich ist der große Fluss und seine Quelle ein Bild für mein Leben. Der Fluss und sein Lauf, das sind die Jahre und Jahrzehnte, die mir geschenkt sind mit meinem Leben. Die Durchbrüche (beim Fluss durch Bergbarrieren) gibt es da und dort und auch die Abstürze, die beim Fluss Wasserfälle heißen. Richtungsänderungen auf die eine und andere Seite sind vorhanden, aber auch das gemächliche, ruhige Fließen durch weite Ebenen. Und ganz egal, wie weit die Reise geht bis zur Mündung, ob es 2857 Kilometer sind wie bei der Donau oder nur knapp 60 Kilometer wie beim Kraichbach, der durch unser liebliches Kraichtal fließt, immer gibt es eine Quelle einen Ursprung. Und das ist auch bei meinem, bei unserem Leben so – ganz egal wie weit es noch zur Mündung ist: Es hat seinen Ursprung, seinen Anfang. Dieser Ursprung liegt bei Gott, dieser Ursprung ist Gott. Wie bei dem Fluss, der auch von anderen Quellen Wasser bezieht, gibt es auch in meinem Leben noch andere Quellen, die ich gerne in Anspruch nehme: Sport, Urlaub, Musik, Lesen, Computerspiele, meinen Garten – ergänzen sie gerne selbst nach ihren eigenen Vorlieben. Doch neben all diesen vielen anderen Quellen, die es gibt und die wir schätzen, ist doch die eine einzige Ursprungsquelle die besondere Quelle. Und das hat überhaupt nichts mit Hermann Hesse und seinem Wort vom Zauber, der jedem Anfang inne wohnt zu tun. Nein, liebe Schwestern und Brüder, das hat ganz allein mit allein Gott zu tun. Amen.