Predigt über den Glückstext der Bibel am Reformationsfest 2023
Predigt über Mt 5, 1-12 von Pfarrer Klaus Vogel am 31. Oktober 2023 – gehalten im zentralen Kraichtaler Reformationsfestsgottesdienst in der evangelischen Kreuzkirche in Kraichtal-Unteröwisheim.
Kanzelgruß
Liebe Gemeinde,
„Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber prediget niemals über vierzig Minuten!“ – Martin Luther soll das gesagt haben. Rufen Sie mir bitte laut und gut vernehmbar zu, wenn im Folgenden die Minute 38 erreicht und noch kein „Amen“ erklungen ist.
Nach der Ordnung unserer Kirche ist uns heute als Predigttext der Anfang der Bergpredigt gegeben… die sog Seligpreisungen:
1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen[1]. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften[2]; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
Zwei Freunde treffen sich. Erzählt der eine: „Du, ich habe gerade eine alte Bibel in den Müll geworfen. Irgendeine Gutenburg, …werk, zwerg… “
„Doch nicht etwa eine Gutenberg?“, fragt der andere daraufhin entsetzt. „Spinnst du völlig? Mensch, die ist doch Millionen wert!“ Doch der Bibelwegwerfer bleibt ganz gechillt und entgegnet völlig tiefenentspannt:
„Selbst, wenn das normal der Fall wäre, bei meiner sicher nicht.“
„Und wieso das?“, fragt ihn sein Freund.
„Nun, irgendein Martin L. aus Wittenberg hat die Seitenränder mit seinen Bemerkungen verkritzelt und total vollgeschmiert.“
So ein Dachbodenfund, liebe Gemeinde, wäre in der Tat ein riesiges Vermögen, ja märchenhaft viel wert.
Die gute Nachricht, die praktische, die jeden und jede von uns direkt betreffende aber ist die, dass, sobald wir auch nur eine einzige Bibel zu Hause haben, wir unendlich viel reicher sind als der, der eine alte Gutenberg Bibel mit handschriftlichen Bemerkungen von Martin Luther sein eigen nennen kann. Denn nicht Papier, nicht alter Goldschnitt, nicht Ledereinband oder was auch immer macht eine Bibel wertvoll, sondern der Inhalt, das, was drinsteht. Martin Luther hat es in zähem Ringen geschürft… ja herausgeholt, er hat es allgemeinverständlich übersetzt. Die dabei zentrale Stelle aus dem Römerbrief haben wir vorhin in der Lesung gehört. Martin Luther hat die Menschen seiner Zeit von religiös begründeter Angst, Hörigkeit, Unselbständigkeit und von entsprechenden Abhängigkeiten befreit. Er hat die kirchlichen Profiteure dieser Ängste insbesondere in Rom schwer geärgert und oft genug zur Weißglut gebracht. Viel zu lange nämlich haben die das dumme Mönchlein aus der sächsischen Provinz im fernen Deutschland nicht ernst, nicht wahr und nicht für voll genommen. Doch das dumme Mönchlein hat nicht weniger als Weltgeschichte geschrieben – auch wenn seine Exkommunikation durch Rom bis zum heutigen Tag nicht zurückgenommen worden ist. Martin Luther hat die kostbarste Botschaft der Welt, die wertvollste Message, die die Bibel für uns hat, herausgehoben, er hat sie in die Mitte gerückt und zum Leuchten gebracht. Es ist die Botschaft, dass Gott dir die Hand entgegenstreckt und seine Arme ausbreitet, sie über dir hält und – wo nötig – z. B. wenn wir Hochseilartisten sind auch unter uns hält. Alles, was du angerichtet, was du in den Sand gesetzt hast, bewusst oder unbewusst, was du verdaddelt, vermasselt oder versemmelt hast, die kleinen und die großen Sünden… alles hat Gott von vorneherein und als erstes getilgt. Alles hat er verschwinden lassen, wie ein Aktenvernichter Dokumente, die keiner mehr sehen soll. Deine Zukunft liegt in seiner Hand und sie ist damit in den allerbesten Händen. Das, liebe Gemeinde, ist der Mega Schatz, den Gottes Wort für dich bereithält. Einfach so… zum Mitnehmen… zum Annehmen… zum Glauben… zur Erleichterung und zur Erlösung. Mindestens in die Kategorie „Großer Schatz“ gehören auch die heutigen Verse Jesu. Die Seligpreisungen. Sie beginnen allesamt mit „Selig sind“. Manche Übersetzungen verwenden „Glücklich sind“ oder „Glückselig“ sind… Margot Käsmann bezeichnet die Seligpreisungen als den Glückstext der Bibel. Das zugrundeliegende griechische Wort heißt makarios. Ursprünglich konnten nur Götter makarios sein. Später auch solche, vor allem reiche Menschen, denen es gut ging wie Göttern… überdurchschnittlich, außerirdisch gut… unbeschreiblich, und unsteigerbar gut. Ich vermute, dass unser Begriff glückselig am besten das ausdrückt, was hier gemeint ist. Von dem 2005 verstorbenen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch gibt es einen sehr schönen und treffenden Limerick zum Zustand der Glückseligkeit:
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit,
Gott nahm in seine Hände meine Zeit:
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Damit bekommen wir eine Vorstellung, eine Richtung wie sich fühlen kann, wer von Jesus am Beginn der Bergpredigt aufgezählt wird.
Kurze Zwischenfrage: Können Sie sich an solche Momente erinnern? Vielleicht in letzter Zeit, diesen Monat, dieses Jahr? Wann waren Sie zuletzt glückselig? Was löst bei Ihnen Glückseligkeit aus? Wenn die ersten Frühlingsblüher aus der Erde sprießen? Der Besuch Ihrer Enkel? Ihr Geburtstag, das Weihnachtsfest? Ihr Lieblingsessen? Der erste Urlaubstag? Der Ankunftstag im Urlaubsdomizil? Die Heilung einer Krankheit, eine erfolgreiche OP? Gleich die erste Seligpreisung ist erklärungsbedürftig: Selig/Glückselig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich. Da sind eben nicht wie meist gemutmaßt die geistig Minderbemittelten gemeint, die vielleicht einen IQ von 80 und weniger haben. Die sind auch gemeint. Hier ist aber Armut in jeder Form gemeint. Bei denen, die wirklich und wörtlich auf der Welt hungern, wird aktuell die Zahl mit mehr als 735 Millionen Menschen angegeben. Darunter überproportional viele Kinder. Es sind aber auch die, die nach Wahrnehmung und Solidarität hungern. Z. B. wird es den Inselstaat Tuvalu noch 20 – 50 Jahre geben, dann wird er wegen des Klimawandels vom Pazifik verschluckt sein. Auch das ist Armut. Oder die Armut an Gesundheit. Leben mit der Krebserkrankung, mit einer Lunge, die zu weniger als 20 % funktioniert… Ihnen allen, den Armen in jeder denkbaren Hinsicht gehört Gottes gerechte Welt, ihnen ist sie in Aussicht gestellt. Die Aufgabe von allen Nichtarmen ist es, an Gottes gerechter Welt leidenschaftlich mit zu arbeiten – schon hier, schon heute, schon jetzt.
Wer trauert, dessen Leben ist trostlos, grau, ohne Ziel, ohne Farben, ohne Glück… und gerade deshalb wird all jenen von Jesus Glückseligkeit versprochen. Wer trostlos ist, befindet sich im Abseits des pulsierenden Lebens. Er gehört nicht dazu, ist irgendwie abgehängt. Ohne Trost sein, das ist fast schon nicht ganz bei Trost sein. Es macht zum Außenseiter. 2016 lautete die Jahreslosung: Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet (Jes 66, 13). Trösten wie früher die Mutter, als wir mit zerschundenen Knien heulend heimgekommen sind… Von Gott Trost erfahren, von Gott getröstet werden, das ist die grundlegende Aussicht für alle, die traurig und trostlos dahinleben, die halt gerade noch so mehr schlecht als recht existieren… und natürlich sind die anderen, wir Christen, auch an der Stelle fest angestellt als Gottes Bodenpersonal. Glückselig werden alle bezeichnet, die sanftmütig sind. Die „Hoffnung für alle“ übersetzt „sanftmütig“ mit die auf Frieden bedacht sind: Glücklich/-selig sind, die auf Frieden bedacht sind, denn sie werden die ganze Erde besitzen. Zielsicher nennt Jesus hier auch all die glückselig, die ihr Augenmerk auf den Frieden setzen, die den Mut zu friedlicher Konfliktlösung haben, zum Ausbrechen aus der Gewaltspirale, zum Neuanfang. Ein extrem schwieriges Thema in Zeiten des barbarischen Überfalls der Hamas und des gegen alles Völkerrecht und Abkommen verstoßenden Überfalls auf die Ukraine. Friedensaktivisten haben es ja nie leicht – aber im Moment zerreißt es sie schier. Und dennoch ist der Einsatz für den Frieden – im ganz Großen wie im Kleinen, in der Familie, im Quartier, in der Kirchengemeinde absolut alternativlos. Und am Ende wird sich der Friede durchgesetzt haben. Das ist Jesu Verheißung. Gegen allen Augenschein.
Glückselig sind oder werden sein alle, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Ein ganz weites und ein weithin zu beackerndes Feld. Es kann doch z. B. nicht sein, dass bei gleichem Notenschnitt ein Abitur in Bremen nicht annähernd vergleichbar ist mit einem in Bayern… und wie kann es sein, dass die Zahl der Privatschulen seit Jahren schon unaufhörlich steigt und viele, die es sich leisten können, den staatlichen Schulen mit ihren unüberschaubaren Problemen den Rücken kehren? Was zeigt uns das? Es kann übrigens auch nicht sein, dass ein Fünftel der Weltbevölkerung über vier Fünftel des Welteinkommens verfügt. Bildungsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit. Es ist schon erstaunlich, wie Jesu Worte noch nach 2000 genau mitten hinein ins Herz unserer heutigen Problematiken treffen. Kaum weniger betrifft dies auch das Thema Barmherzigkeit. Der Klassiker hierzu ist ja die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter. Aber so erleben wir das heute nicht mehr. Die Welt ist ganz anders und ungleich komplizierter und unübersichtlicher, unklarer geworden. Natürlich kann mir die Bettlerin in der Fußgängerzone oder der Bettler an der Haustür etwas vormachen. Aber uns zu verstecken hinter dem Argument der Unübersichtlichkeit ist keine Option. Glückselig sind und bleiben bis zum jüngsten Tag alle, die nicht resignieren und barmherzig bleiben gegenüber anderen – gegenüber allen anderen Menschen, und…selbstverständlich auch gegenüber Tieren. „Glücklich sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen.“ Herz meint bei Matthäus das „Denken, Willen und Emotionen umfassende Zentrum der Person“ (Konradt, S 69f). Die Schaltzentrale sozusagen. Die Reinheit des Herzens bedeutet die ungeteilte Ausrichtung auf Gott. Ausrichtung also nicht nur zum Teil, ein bisschen, mal mehr und mal weniger, sondern ganz und konsequent. Ganze Ausrichtung auf Gott, der uns auch ganz vergibt, ganz erlöst und alles gibt. Gott macht nur ganze Sachen…
Die Seligpreisungen – oder wenn man so will – die Glückseligpreisungen sind, wie ich am Anfang zitiert habe, der oder jedenfalls ein Glückstext der Bibel. Sie holen alle ab – zumindest alle, die sich abholen lassen möchten. Was die Abgeholten mitbringen und vorweisen können, ist total egal. Vorleistungen spielen keine Rolle. Eine Rolle spielt allein, ob ich annehme, was Gott mir schenkt und ob ich mich einlasse auf Hoffnung und himmlische Aussichten, die kein Ende haben.
Die Glückseligpreisungen holen auch alle ab, die geschunden an den Rändern liegen, die übersehen werden, die in die dunklen Täler gejagt worden oder geflüchtet sind, alle, die sich auf völlig verlorenen Posten wähnen, alle, keinen Plan und keine Idee vom Morgen haben, die einfach nicht mehr weiterwissen. Alle, die nichts und niemanden haben. Alle, die zweifeln oder verzweifelt und resigniert sind. Alle, die gefangen in sich selbst sind. Genau die schart Jesus am Anfang seiner „Mission Erde“ um sich. Genau denen eröffnet Jesus, dass sie exakt das Richtige tun, wenn sie sich auf ihn einlassen. Genau denen verspricht Jesus Glückseligkeit und das rundum gute Ende. Amen.