Wer von Gottes Großzügigkeit lebt, wer an sie glaubt und auf sie hofft, kann nicht kleinkariert…
Predigt über 1 Mose 13, 1-18 von Pfarrer Klaus Vogel am 21. Sonntag nach Trinitatis, 29.10.2023 – gehalten im Gottesdienst in der evangelischen Mauritiuskirche in Kraichtal-Oberöwisheim.
Kanzelgebet
Übersetzung nach Martin Luther
1 Mose 13, 1-18
1 So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot mit ihm ins Südland. 2 Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. 3 Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, 4 eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des HERRN an. 5 Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. 6 Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. 7 Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Perisiter im Lande. 8 Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. 9 Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. 10 Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan, dass sie wasserreich war. Denn bevor der HERR Sodom und Gomorra vernichtete, war sie bis nach Zoar hin wie der Garten des HERRN, gleichwie Ägyptenland. 11 Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern, 12 sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten jener Gegend. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom. 13 Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den HERRN. 14 Als nun Lot sich von Abram getrennt hatte, sprach der HERR zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du bist, nach Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen. 15 Denn all das Land, das du siehst, will ich dir geben und deinen Nachkommen ewiglich. 16 Und ich will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden. Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen zählen. 17 Darum mach dich auf und durchzieh das Land in die Länge und Breite, denn dir will ich’s geben. 18 Und Abram zog weiter mit seinem Zelt und kam und wohnte im Hain Mamre, der bei Hebron ist, und baute dort dem HERRN einen Altar.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
unser heutiges Bibelwort besteht aus sehr vielen Wörtern. Ungefähr 450 Stück. Es nimmt uns weit mit hinein in die Vergangenheit. Fast an den Anfang der Bibel. Beginnen tut’s mit einer Reiserwähnung. „So zog Abraham herauf aus Ägypten…“ Dorthin war er mit seiner ganzen Sippe wegen einer recht schlimmen Hungersnot ausgewichen. Auf dem Weg nach Ägypten – kurz vor dem Grenzübertritt hält Abraham inne. Der Grund: seine Frau Sara war wohl wahnsinnig hübsch. Eine seltene Schönheit und sie wäre bestimmt chancenreich bei heutigen Misswahl Wettbewerben gewesen. Das hat Abraham Angst gemacht. Angst davor, dass man ihn, den Ehemann, kurzerhand beseitigen könnte, wegen seiner attraktiven Frau. Man kommt überein – das heißt Abraham verfügt es – dass diese seine toll aussehende Frau in Ägypten offiziell als seine Schwester gilt. Der Plan geht dahin auf, dass Abraham unbehelligt bleibt, aber die Kunde von dieser wahrscheinlich exotisch anmutenden Schönheit sich ausbreitet wie ein Lauffeuer und in kürzester Zeit auch beim Pharao ankommt. Der lässt sie zu sich holen, fängt sogleich etwas mit ihr an und überschüttet „den Bruder“ mit Wohltaten und Zuwendungen. Ganz kurze Zeit später werden die Ägypter geplagt, insofern als dort von Gott geschickte Plagen ausbrechen – die Kundigen unter uns wissen, dass dies nicht die einzige Plagenserie bleiben wird. Wie der Pharao erfährt, was dafür die Ursache ist, erfahren wir leider nicht. Aber er erfährt’s und ist stocksauer und enttäuscht. Er stellt Abraham zur Rede und was er ihm sagt, ist sinngemäß: Was hast du bloß für ein Bild von mir? Bin ich so ein Unmensch? Traust du mir zu, dass ich eine bestehende Ehe eiskalt ignoriere und derart rücksichtslos, gewissenlos, unmenschlich und egoistisch sein könnte…? Schließlich lässt er Abraham, der darüber ziemlich beschämt gewesen sein dürfte, mit Reichtümern und Kostbarkeiten überschüttet seines Weges ziehen – zurück nach Kanaan. Ich habe das gerade etwas ausgeschmückt erzählt, weil Abraham hier eine Lektion gelernt hat. Die Lektion: Trau Gott mehr zu. Trau Gott zu, dass er seine Zusagen einhält. Trau Gott zu, dass seine Hand dich hält, dich beschützt und dich trägt…mit anderen Worten: Wer von Gottes Großzügigkeit lebt, wer an sie glaubt und auf sie hofft, kann nicht kleinkariert und kleingläubig durchs Leben gehen… Immerhin ging es bei Abraham um folgende Zusage, die Gott ihm nur wenige Verse vorher geschenkt hat:
2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Abraham ist also materiell (von Gold und Kostbarkeiten ist die Rede) und immateriell (Gottes nach wie vor gültige Zusage) richtig reich!
Auch wenn das nicht sehr im Zentrum der Erzählung steht – möchte ich, dass wir in Gedanken für einen Moment an der Stelle verweilen. Abraham zieht von Ägypten nach Kanaan. Zu Fuß mit Lasten tragenden beladenen Tieren. Hab und Gut auf dem Rücken von Tieren und natürlich auch auf dem eignen Rücken. Da sind Gewicht und Volumen der Umzugsgegenstände gegenüber heutigen Umzügen sehr begrenzt. Wenn wir nun an unser eigenes Hab und Gut denken und uns vorstellen, auf diese altertümliche Weise umziehen zu müssen: Was würden wir mitnehmen? Was würden wir auf jeden Fall selber tragen, damit es auch sicher und unversehrt ankommt? Was von unserem Hab und Gut würden wir zurücklassen? Vielleicht schweren Herzens, vielleicht aber auch ganz froh, dass die äußeren Umstände etwas nachgeholfen haben bei der Trennung? Unser Leben ist eine Reise – und reisen mit leichtem Gepäck ist das angenehmere Reisen. Es muss allerdings schon das richtige Gepäck auch sein. Zwischen Äquator und Wendekreis brauche ich keine Pullover und in den Polarregionen keine Shorts. Unser Leben als Reise… ist unser Gepäck leicht und zweckmäßig? Nehmen wir dies heute als Impuls mit und als Frage für unterwegs.
Doch zurück zu Abraham: in Kanaan angekommen, zieht es ihn nach Bethel. Bethel ist der frühere Ankunftsort in Kanaan, wohin er im Auftrag Gottes gereist war, wo er aus Steinen einen Altar gebaut hatte. Ich weiß nicht, wie es Euch/Ihnen geht? Manche Orte an denen ich schon einmal war, an denen sich besonderes ereignet hat, an denen ich besonderes erlebt habe… haben für mich etwas unverlierbar Einzigartiges, sie sind auf eine gewisse Art legendär und geheimnisvoll, unverlierbar und persönlich, vertraut und irgendwie auch ein wenig mystisch… kennen Sie das? Denken Sie zum Beispiel an den Ort des ersten Kusses, des ersten Dates oder am anderen Ende der Skala der Ort, an dem Sie oder der/die Partner/in eine Beziehung beendet hat… oder den ersten Arbeitsplatz, die erste Wohnung, falls sie Kinder haben: der Ort, an dem ihre Kinder auf die Welt gekommen sind, der erste Urlaub, das Hotel, der Strand… Abraham geht also dorthin, wo er das verheißene Land zuerst betreten hat – und wir ahnen vielleicht, warum…
Im Land aber dann richtig angekommen, stellt sich schnell heraus, dass etwas nicht passt, dass es ziemlich unrund läuft. Abraham und sein Neffe Lot – sie waren zwei Sippschaften, zwei Großfamilien, jede für sich ein Mikrokosmos. Hinzu kam, dass das Land bevor Abraham und Lot kamen, natürlich nicht menschenleer war. So waren die Ressourcen, die zur Verfügung standen… Wasser und Weideland… nicht ausreichend. Sie waren sogar schwer begrenzt. Die Menschheit – jedenfalls Teile davon muss ja auch spätestens am Beginn des 3. Jahrtausends realisieren, dass die weltweiten Ressourcen endlich sind und nicht und nicht uferlos zur Verfügung stehen… Doch zurück zu Abraham. Abraham und sein Neffe bekommen keinen Streit – aber ihre jeweiligen Hirten. Die um so heftiger. Ständig gibt es Stress und Streit, Kämpfe und Konflikte. Da ergreift Abraham die Initiative. Er sagt zu Lot: „Du, wenn wir klug sind, dann trennen wir uns. Dann lassen wir es nicht zu, dass das alles noch zu einem Krieg ausartet… Krieg, wo am Ende alle verlieren… Mich beeindruckt ehrlich gesagt tief, der Satz, den Abraham über alles stellt, der seine Motivation deutlich macht als er sagt: „…denn wir sind Brüder” – wenn uns das doch öfter über die Lippen ginge und unser Handeln leiten würde: „…denn wir sind Brüder“ Es würde an so vielen Stellen so sehr anders aussehen.
Jedenfalls aus einer Haltung von gigantischer Gelassenheit und gewaltigem Gottvertrauen heraus lässt Abraham Lot den Vortritt bei der Wahl der Landschaften, zwischen denen es zu wählen galt. Dabei hatte Lot alles andere als die Qual der Wahl. Wenn die Landschaften Häuser gewesen wären, dann war es die Wahl zwischen einem Haus aus den 50er Jahren einerseits, an dem zwischendurch nie etwas saniert wurde und einem ganz neu gebauten Bungalow mit Innen- und Außenpool. Lot hat natürlich – wer wollte es ihm bei diesem Angebot verdenken – das Filetstück gewählt: Die wasserreiche Landschaft im Tal, eine blühende Landschaft, zu der auch die Städte Sodom und Gomorrha gehörten… Da dürfte es bei den etwas Bibelkundigeren jetzt „klick“ machen… Zum Paradies auf Erden wurde das für Lot jedenfalls nicht – weiter hinten auch nachzulesen im 1. Mosebuch. Abraham aber hat sich nicht vom Augenschein leiten, blenden, beeinflussen oder was auch immer lassen, sondern von felsenfestem und unerschütterlichem Gottvertrauen. Von der Überzeugung, dass er selbst nicht nachhelfen, nicht schieben, nicht eingreifen muss, wo es darum geht, dass Gottes Verheißungen sich erfüllen. Das Bibelwort heute will uns geradezu locken und verleiten, dass wir uns an Abrahams Zutrauen zu Gott orientieren. Z. B. wenn wir an Gräbern, Särgen und Urnen stehen, oder wenn wir plötzlich alleine dastehen und uns manchmal bei eintreffenden Nachrichten ein wenig wie Hiob vorkommen, wenn wir vor Berufs- oder Partnerwahl stehen.
Wer von Gottes Großzügigkeit lebt, wer an sie glaubt und auf sie hofft, kann nicht kleinkariert und kleingläubig durchs Leben gehen. Wer soll uns unser Christsein denn abnehmen, wenn wir wegen allem herumheulen, wenn wir zögern und zaudern, wenn wir nichts schärfer im Blick haben, als unsere eigenen Vorteile, wenn unsere frommen Sprüche kaum mehr sind als schlechte Sonntagsreden?
Hier auf Abraham schauen (obwohl der kurz zuvor in Ägypten noch ziemlich hasenfüßig und feige war), heißt: Sehen wie es besser geht – nämlich:
Wer von Gottes Großzügigkeit lebt, wer an sie glaubt und auf sie hofft, kann nicht kleinkariert und kleingläubig durchs Leben gehen. Auf Abraham schauen, heißt auch wahrzunehmen, dass es Situationen im Leben geben kann, in denen Trennung die bessere Lösung ist. Abraham und Lot waren Monate und Jahre durch den Mittleren Osten gezogen, sind vor der Hungersnot nach Ägypten geflohen, glücklich zurückgekehrt… und nun die Trennung. Nicht aus Übermut oder Langeweile, nicht, weil es ihnen zu wohl geworden wäre – nein, weil es objektiv betrachtet das Beste gewesen ist. Das mag auch an manche Ehe erinnern, die auseinandergegangen ist, wo Trennung die einzig richtige Lösung war, wo manche Außenstehende schon Jahre vorher gesagt haben: Mensch, die sollten sich doch trennen. Wenn es wirklich so ist, dass ein Zusammenbleiben Tag für Tag immer nur weiter gegenseitig Schuld anhäuft, dann kann eine Trennung das Bessere von zwei Übeln sein. Auch die Entzweiung von christlichen Gemeinden kann gesehen werden als etwas, das an einem bestimmten Punkt sinnvoll ist. Zwar hat Christus laut dem Johannesevangelium gesagt: „Sie sollen alle eins sein…“ (Joh 17, 21) – aber in vielen Fällen bekommen wir Menschen das einfach nicht auf die Kette – und wo Glaubensüberzeugungen im Spiel sind zweimal nicht. Und bevor Streit über Glaubensdinge bloß noch stört und zerstört, sich wie ein Krebsgeschwür immer weiter in die Gemeinschaft hinein frisst, mag Trennung besser sein. Im Sommer, als wir in den USA waren, sind wir in Page/Arizona in einer Straße auf dem Weg zu unserer Unterkunft an mindestens 10 verschiedenen christlichen Kirchen (Baptisten, Lutheraner, Methodisten…) vorbeigefahren. Alle auf derselben Straßenseite eine neben der anderen. Oder schauen Sie mal, was es allein in Karlsruhe alles an christlichen Gruppieren gibt… Einerseits natürlich schade – aber andererseits: Warum nicht, wenn, wie es Philipp Melanchthon im Augsburger Bekenntnis ausgedrückt hat, wenn nur das Evangelium recht verkündigt und die Sakramentes verantwortungsvoll verwaltet werden. Mehr braucht es gar nicht.
Also: Trennung als Lösung – Trennung als Option, um unter bestimmten Umständen die Gemeinschaft nicht völlig zu zerstören… davon hören wir hier.
Schließlich noch ein Punkt. Ausgerechnet jetzt, gut 3 Wochen nach dem schrecklichen Überfall der Hamas auf Israel, stoßen wir in unserem heutigen Bibelwort auf genau die Stelle, auf die sich die Juden bei ihrem Anspruch auf das Heilige Land berufen. Es ist der Vers 15, wo Gott zu Abraham sagt: Denn all das Land, das du siehst, will ich dir geben und deinen Nachkommen ewiglich. Oder wie es in anderen Übersetzungen heißt: „…geben für alle Zeit“. Das Land, Kanaan, das Heilige Land ist den Juden von Gott gegeben, unantastbar, unhinterfragbar unumkehrbar. Hier liegt der tiefste Grund des Nahostkonflikts verborgen. Die Situation ist total verfahren, sie ist scheint absolut ausweglos… reihenweise sind schon die größten Politiker an der Lösung und Befriedung gescheitert. Doch macht es nicht auch Hoffnung, viel Hoffnung, dass genau diese Erzählung uns so unglaublich mächtig und imposant von Abrahams Großherzigkeit, seiner Gelassenheit und seinem unerschütterlichen Gottvertrauen erzählt. Dies sollten natürlich wir – aber insgesamt alle, denen die Bibel Gottes Wort ist, verinnerlichen und möglichst jeden Tag danach leben: Wer von Gottes Großzügigkeit lebt, wer an sie glaubt und auf sie hofft, kann nicht kleinkariert und kleingläubig durchs Leben gehen. Amen.