Von Followern, Nörglern und Gesocks
Predigt über Matthäus 9, 9-13 von Pfarrer Klaus Vogel am Sonntag Septuagesimae, 05.02.2023 gehalten im Gottesdienst im Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde Oberöwisheim.
Kanzelgruß
Jesus beruft Matthäus und isst mit den Zolleinnehmern Mt 9
9 Jesus ging weiter und sah einen Zolleinnehmer an der Zollstelle sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Und Matthäus stand auf und folgte ihm.
10 Als Jesus dann zu Hause[1] zu Tisch saß, kamen viele Zolleinnehmer und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten, um mit ihm und seinen Jüngern zu essen.
11 Die Pharisäer sahen es und fragten die Jünger: »Wie kann euer Lehrer sich mit den Zolleinnehmern und ähnlichem Volk an einen Tisch setzen?«
12 Jesus hörte es und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken!
13 Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ›Ich fordere von euch nicht, dass ihr mir irgendwelche Opfer[2] bringt, sondern dass ihr barmherzig seid.‹ Ich bin nicht gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen,[3] bei denen alles in Ordnung ist, sondern solche, die Gott den Rücken gekehrt haben.«
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
„Jesus told him to come and to follow him. Immediately Matthew obeyed. He left his job and he followed Jesus.“
Das war jetzt eine Premiere, denn noch nie habe ich eine Predigt auf Englisch angefangen. Haben Sie es verstanden? „Jesus told him to come and to follow him. Immediately Matthew obeyed. He left his job and he followed Jesus.” Das ist der erste Vers unseres heutigen Predigttextes aus einer englischen Bibelübersetzung. Zurecht fragt Ihr euch, was das jetzt wieder soll. Nun – im Englischen steht hier zweimal das Wort, das Jüngeren und solchen, die in Social Media unterwegs sind, völlig geläufig und schon fast in Fleisch und Blut übergegangen ist. Da ist von to follow die Rede. Jesus sagt zu Matthäus: Follow me – und der tut es. Matthäus wird zu einem der ersten und wichtigsten Follower von Jesus. Und jetzt müssen die kurz zu Wort kommen, die sich damit bestens auskennen – unsere Konfis… Was ist ein Follower? Das Gute ist, nebenbei bemerkt, dass man im Englischen auch nicht gendern muss. Da heißt es einfach nur Follower – und automatisch sind alle mit gemeint. Also: Was ist ein Follower? Wann folgt ihr jemandem?
Roman…
Wie viele Follower habt ihr??? Bei mir waren es am Donnerstag 179… – ein Follower ist also ein Abonnent. Ein Abonnent meiner Bilder, Filmchen und Kommentare, die ich z.B. auf Instagram veröffentliche. Die Gruppe meiner Follower ist extrem unterschiedlich. Da gibt es welche, die ich gar nicht kenne – und sie mich auch nicht. Die haben z.B. ein interessantes Bild gesehen, das ich gepostet habe und haben mich abonniert. Es kann sein, dass sie nie mehr etwas von mir spannend finden. Trotzdem bleiben sie oft lange Follower. Es kann aber auch sein, dass Follower jede Äußerung einsaugen, bestaunen, kommentieren – und es gibt die vielen Schattierungen dazwischen. – Ein anderes Beispiel für die Aufforderung, zu folgen, habe ich in einem Fragenkatalog zur theoretischen Fahrschulprüfung gefunden. Da steht folgendes: „An einem direkt vor Ihnen fahrenden Polizeifahrzeug leuchtet ‚BITTE FOLGEN‘ auf. Welche Bedeutung hat dies?“ Zur Auswahl stehen dabei verschiedene Antworten. Falsch sind folgende Auskünfte: 1) „Nur Schwertransporte müssen dem Polizeifahrzeug folgen“ oder 2) „Alle Fahrzeuge, die in gleicher Richtung fahren, müssen dem Polizeifahrzeug folgen.“ Richtig ist allein diese Antwort: 3) „Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen“. Und zur Erklärung wird hinzugefügt: „Diese Anweisung beschränkt sich lediglich auf den direkt hinter dem Polizeifahrzeug befindlichen Fahrzeugführer.“ Diese höflich klingende Aufforderung ist freilich mehr als ein frommer Wunsch der Polizei. Sie hat verpflichtenden Charakter für die betroffene Person und ist bei Nichtbefolgung mit einem Bußgeld verbunden.
„Folge mir!“ – Wenn Jesus das zu Matthäus sagt (Mt. 9,9), hinkt der Vergleich mit einem Polizeiauto natürlich an mehreren Stellen.
Diese Form des Folgens (Polizei) verheißt z.B. nichts Gutes, denn wenn das Folgen aufhört und angehalten wird, dann kommt es zur Begegnung, zur Aussprache, zum Grund der Aufforderung, und das ist dann fast nie vergnügungssteuerpflichtig. Das gibt meist Ärger… weil wir vielleicht zu schnell oder zu langsam oder zu dicht aufgefahren sind, etwas Alkohol getrunken oder gar keinen Führerschein haben… die Möglichkeiten für böße Überraschungen sind zahlreich und in der Regel zahlungspflichtig.
Wie können wir Jesu Aufruf zur Nachfolge verstehen? Matthäus hat in der Szene sein Leben von einem Augenblick zum anderen radikal verändert. Aus dem miesen Zöllner – jedenfalls aus dem Zöllner mit dem miesen Image ist durch diese Begegnung mit Jesus ein Apostel geworden, einer der 12, eine gigantische Säule am Beginn des Christentums. Der Punkt, der Unterschied zu uns ist aber, dass er vorher gar kein Follower/Nachfolger von Jesus war. Er wird es erst hier. Wir dagegen sind es schon – mehr oder weniger. Vielleicht ist es bei unseren Konfis etwas anders. Sie sind alle getauft. Bei der Taufe hat Gott gesagt: Ja, du bist mein Kind. Aber die Konfirmation steht noch aus. Da fragt Christus euch: Wollt ihr meine Follower sein? Wollt ihr mir folgen, nachfolgen? Wollt ihr so leben, wie ich es gesagt und vorgelebt habe? Ihr werdet am 7. Mai diese Frage gestellt bekommen und beantworten. Wir anderen, die wir hier sind, jedenfalls die meisten, haben die Antwort schon gegeben. Das ist zum Teil schon richtig lange her. Bei mir sind es 47 Jahre. Aber die Antwort von damals gilt immer noch. Es ist und tut gut, wenn wir Jesus folgen, wenn wir es gemeinsam mit anderen tun, als Teil der evangelischen bzw. einer christlichen Kirchengemeinde. Folge mir! – Wenn wir heute diesem Wort begegnen, dann wird das, was wir schon wissen, aufgefrischt, wir werden erinnert – von mir aus auch upgedatet. Das Bekannte wird vom Staub befreit – wie die Möbel beim Putzen. Folgen wir Jesus weiter nach. Lassen wir uns heute darin bestärken. „Liebe Gott und liebe deine/n Nächste/n“. Auf diese kurze und einfach klingende Formel wird Jesus später das Ganze bringen. Wer das tut, wer das beherzigt, wer das fröhlich und engagiert versucht und möglichst tut, der und die ist absolut auf dem richtigen Weg.
In der Erzählung von der Berufung des Matthäus geht das dann aber noch ein ganzes Stück weiter – und zwar im Haus des Matthäus. Es klingt sehr nach Party. Matthäus lädt ein. Er feiert den neuen Abschnitt seines Lebens. Bei der Konfirmation wird ja auch groß gefeiert. Vielleicht ist beides ganz vergleichbar. Zu dem Fest des Matthäus kommen seine bisherigen Kollegen und andere mit schlechtem Ruf. Aus bürgerlicher und „gut situierter“ Sicht also wirklich keine feine Gesellschaft. Und Jesus – wie nicht anders zu erwarten und typisch für ihn: Jesus mitten drin. Und ebenfalls wie nicht anders zu erwarten sind die Pharisäer mal wieder die Spaßbremsen. Sie nölen, nörgeln und kritisieren herum. Doch sie scheuen die direkte Konfrontation mit Jesus und hauen erst einmal seine Jünger an, die da irgendwo zwischen Festgesellschaft und Pharisäern herumstehen: Unmöglich – wie kann er sich mit diesem Gesocks abgeben und seine Zeit mit denen verbringen? Jesus wartet dann gar nicht ab, ob den Jüngern etwas Kluges einfällt oder nicht und ergreift das Wort. Er hat ja schließlich immer etwas Kluges drauf: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken! 13 Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ›Ich fordere von euch nicht, dass ihr mir irgendwelche Opfer bringt, sondern dass ihr barmherzig seid.‹ Ich bin nicht gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen, bei denen alles in Ordnung ist, sondern solche, die Gott den Rücken gekehrt haben.« In diesen klaren Worten an die Pharisäer im oder beim Haus des Matthäus da steckt eigentlich alles drin, was für unsere Ausrichtung und Aufgabenstellung als christliche Gemeinde zentral ist… dass wir uns denen zuwenden, die sich abgewendet haben, denen, die abgedriftet, die an die Ränder gespült worden sind, denen, mit denen sonst niemand zu tun haben möchte…
Wir haben als Kirchengemeinde 2016 eine Visitation gehabt an deren Ende als Zukunftsprojekt die Feier des Turmjubiläums stand. Das Ganze war natürlich eine große und tolle Sache – da sind wir uns wohl alle einig. Aber ich frage mich, ob die extrem viele Zeit und Energien, die das über mehrere Jahre gekostet hat, ob das unserem Auftrag, an den wir heute so klar und schnörkellos erinnert werden, so ganz entspricht. Natürlich hat das Jubiläum auch Außenwirkung entfaltet und Menschen dem Thema Kirche und sicherlich auch Gott auf eine völlig unerwartete und unkonventionelle Weise begegnen lassen. Das hat schon beeindruckt – und bestimmt einige auch über den Tag hinaus. Aber wenn wir ehrlich sind, dann war das doch eher ein Nebeneffekt. Barmherzigkeit üben, Menschen, die in Not geraten sind, die in prekären Lebenssituationen leben, Menschen, denen es wie auch immer und warum auch immer nicht gut geht, für die da sein, denen beistehen, denen die Hand reichen – und auch mit ihnen Feste feiern, das liegt auf der Linie dessen, was Jesus den Pharisäern hier steckt und uns nahelegt – möglichst als Haupteffekt allunserer Bemühungen als Gemeinde. Amen.