Ex oriente lux…
Predigt über 2 Kor 4, 3-6 von Pfarrer Klaus Vogel an Epiphanias 2023 gehalten im zentralen Epiphanias – Gottesdienst für alle evangelischen Kraichtaler Kirchengemeinden im Präsenzgottesdienst in der Martinskirche zu Kraichtal-Münzesheim.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
„Gute Nachricht“:
3 Wenn die Gute Nachricht, die ich verkünde, glanzlos und verhüllt erscheint, so ist sie das nur für die Menschen, die verloren gehen. 4 Der Satan, der Herrscher dieser Welt,[1] hat sie mit Blindheit geschlagen, sodass sie der Guten Nachricht nicht glauben. Und so können sie auch deren hellen Glanz nicht sehen – den Glanz, in dem Christus aufleuchtet, der das Bild Gottes ist. 5 Denn ich verkünde nicht mich selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn. Ich selbst komme nur als euer Diener in Betracht, und das bin ich, weil ich Christus diene. 6 Gott hat einst gesagt: »Licht strahle auf aus der Dunkelheit!« So hat er auch sein Licht in meinem Herzen aufleuchten lassen und mich zur Erkenntnis seiner Herrlichkeit geführt, der Herrlichkeit Gottes, wie sie aufgestrahlt ist in Jesus Christus.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde, von Paulus kann ich ganz gewiss eine Menge lernen. Doch ich zögere, von ihm auch die Übersteigerung von Selbstbewusstsein zu lernen, wie sie uns hier heute anscheinend begegnet. Der Anfang seiner heutigen Ausführungen reizt mich erstmal zum offenen Widerspruch. Paulus fängt ja so an: „3 Wenn die Gute Nachricht, die ich verkünde, glanzlos und verhüllt erscheint, so ist sie das nur für die Menschen, die verloren gehen.“ Ich möchte ihn fragen: Lieber Paulus, kann es vielleicht sein, dass die von dir verkündete „Gute Nachricht“ gar nicht so sehr glänzend, mitreißend und offenkundig war, dass du das gar nicht so, wie beschrieben oder jedenfalls erhofft rübergebracht hast. Warum setzt du voraus, dass das strahlend, knallig und unwiderstehlich gewesen sein soll? Stellen wir uns so eine Aussage als Message von Dozent oder Dozentin an Lehrvikarinnen und Lehrvikare sowie an angehende Prädikantinnen und Prädikanten vor: „Wenn eure Predigten glanzlos, mau und lau erscheinen, dann sind diejenigen, die sie nicht vom Hocker reißen eben alle auf dem Weg in die Verlorenheit.“ Das geht natürlich gar nicht – ein No-Go. Denn selbstverständlich kann es sein, dass die Predigten des geistlichen Nachwuchses mau und lau, grau und flau, fade und langweilig waren und deshalb kaum eine/n hinter dem Ofen hervorgelockt haben. Genau so kann es sein, dass aber auch sein, dass meine Predigt mau und grau ist oder die der Dekanin oder des Prälaten oder Landesbischöfin. Das kann wirklich jedem und jeder immer wieder passieren. Dann sollten wir aber bei ausbleibender Ekstase und Begeisterung seitens der Zuhörenden nicht gleich den Teufel an die Wand malen bzw. den Teufel in Aktion sehen als den fiesen Kaputtmacher. Nur Paulus scheint mit keinem Gedanken auch nur erwägen zu wollen, dass es an seiner Performance, an seinen Predigten, also an ihm selbst liegen könnte. Ich will jedoch nicht ausschließen, dass er im konkreten Fall recht hatte. Dass also seine Verkündigung schmissig, packend, ansprechend und einnehmend gewesen ist und dennoch bei den Zuhörenden ganz unterschiedliche Reaktionen ausgelöst hat. – Ich erinnere mich in meiner Schulzeit an eine Stunde Biounterricht. Es ging um die Schädlichkeit des Rauchens. Drastische Bilder wurden gezeigt (ähnlich wie sie heute per Gesetz auf jeder Zigarettenpackung abgebildet sein müssen) und mögliche schlimme Schäden für die Gesundheit. Noch am selben Tag in der großen Pause haben einige in der dunklen Ecke unbeeindruckt weiter geknarzt. War da auch der Teufel im Einsatz? Und wenn ja – warum? An der Stelle auch ein Blick auf Jesu Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld (Mt 13): ¼ der Saat geht auf gutem Boden auf. ¾ tun es nicht. Doch nur bei einem von diesen drei Vierteln sieht Jesus satanisches Wirken als Ursache. Im griechischen Urtext steht in unserem Predigttext übrigens nicht „Satan“ oder “Teufel“, sondern Gott – allerdings Gott dieser Weltzeit oder (so steht es heute in der Lutherübersetzung) „Gott dieser Welt“ – und damit ist natürlich in der Tat der Widerpart Gottes im Leben und in der Welt gemeint, der verschleiert und verführt, der attraktive Abwege zeigt, der ablenkt, weglotst, der beschwichtigt und verharmlost, wo es absolut nichts schönzufärben gibt. Und diese Abwege führen in Verlogenheit und Verlorenheit… sich selbst verlieren, Gott, den Glauben verlieren oder gleich gar nie finden. Mir ist eine Fernsehreportage vor Augen, in dem über eine evangelikale Familie im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten berichtet wurde. Die Mutter brach während des Interviews in Tränen aus, weil sie befürchtete, ihre eigenen Kinder würden in die Hölle kommen, wenn sie nicht zum christlichen Glauben fänden. Diese Mutter hatte die Befürchtung, die Liebe Gottes könne möglicherweise nicht so bedingungslos und umfassend sein wie ihre eigene Mutterliebe. Mein Gottesbild ist ein anderes. Gott ist zuerst und zuletzt ein die Menschen über alles liebender Gott. Gott ist die Liebe, heißt es im 1. Johannesbrief (1 Joh 4, 16). Ich stelle mir diese Liebe Gottes in einer Dimension vor, die menschliche Mutterliebe unvorstellbar weit in den Schatten stellt, in einer erdrückenden Deutlichkeit wie z.B. Frau Heizmann-Ernst mich beim Orgelspiel oder beim Dirigieren in den Schatten stellt.
Es kann tausendmal passieren, dass ich meinen Glauben und Gott aus den Augen verliere – aber niemals kann das Umgekehrte eintreten… niemals kann Gott uns, kann Gott irgendeinen Menschen verlieren, aufgeben, abschreiben. Gottes unerschöpfliche Liebe wird sich zu jedem Menschen ihren Weg bahnen. Nichts Anderes vermittelt schließlich auch das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Gott, der gute Hirte ruht nicht eher, gibt nicht auf, unternimmt alles und lässt nichts unversucht, um das verlorene Schaf am Ende doch zu finden. So ist Gott.
Ich möchte mich aber nicht unnötig lange mit denen aufhalten, welche die Abwege beschreiten, sondern zu denen kommen, die mit und aus ihrem Glauben leben, die Licht in ihren Herzen haben und in und mit diesem Licht leben. Paulus schreibt ja – wir haben es vorhin gehört: Gott hat einst gesagt: »Licht strahle auf aus der Dunkelheit!« So hat er auch sein Licht in meinem Herzen aufleuchten lassen und mich zur Erkenntnis seiner Herrlichkeit geführt, der Herrlichkeit Gottes, wie sie aufgestrahlt ist in Jesus Christus. Christus – das Licht der Welt – ist die unbeschreibliche und unvergleichliche Lichtgestalt und Lichterscheinung, die die Welt verändert hat.
„Ex oriente lux“ ist ein lateinisches Schlagwort, das übersetzt bedeutet: Aus dem Osten (kommt) das Licht. Ursprünglich bezog sich dieser Spruch wahrscheinlich nur auf den Sonnenaufgang („Im Osten geht die Sonne auf“), wurde dann aber wohl übertragen auf das Christentum, das von Europa aus gesehen aus dem Osten, dem Orient kam, und es wurde in dem Sinne verwendet, dass von dort die Erleuchtung (die Weisheit Gottes, Christus bzw. seine frohe Botschaft) gekommen sei.
Der polnische Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec hat die griffige Formulierung ex oriente lux so ergänzt: „Ex occidente Luxus“ („aus dem Westen kommt der Luxus“).
Curd Jürgens, der schon vor 40 Jahren verstorbene weltberühmte und in jeder Hinsicht große Schauspieler war ein Mann des Westens – sprich des Luxus. Er hatte jede Menge teure Autos und Wohnungen in edelsten Lagen in zahlreichen Ländern, all das genoss er in vollen Zügen. 5-mal war er verheiratet, weil das Licht der einzelnen Ehe wohl doch immer wieder viel zu schnell verblasst und untergegangen ist. Curd Jürgens soll gesagt haben: „Ich könnte auf alles verzichten – nur nicht auf Luxus!”. Ja, der Luxus ist ein besonderes und ein besonders attraktives Licht, das viele anzieht und in das viele drängen. Es ist als Licht aber auch vergänglich und verschwindend, verlöschend und verhuschend – zeitlich begrenztes Licht. Kein ewiges Licht und schon gar keins für die Ewigkeit.
Das Licht aus dem Orient, das Licht des Gottes, der in die Welt eingegangen, der zu uns gekommen ist, ist dagegen ein ganz anderes. Es bleibt. Es leuchtet in uns und leuchtet uns auf dem Weg, den wir durchs Leben gehen.
Es gibt ja die Redensart „mir ist ein Licht aufgegangen“. Es entspricht dem, was Paulus schreibt. Er formuliert es am Ende des heutigen Textes aber so: So hat er auch sein Licht in meinem Herzen aufleuchten lassen und mich zur Erkenntnis seiner Herrlichkeit geführt, der Herrlichkeit Gottes, wie sie aufgestrahlt ist in Jesus Christus.
In dem Kultfilm die „Blues Brothers“ bekommt die Hauptfigur Jake Blues (von John Belushi grandios gespielt) in einem US-amerikanischen Gottesdienst die entscheidende und richtungweisende Erleuchtung, wie der festgefahrene Weg, der sich sogar kurz vor der Katastrophe befindet, weitergehen kann. Es ist eine gleißend grelle Lichterscheinung, die ihn mehrfach in den Kirchenraum rufen lässt: Seht ihr dieses Licht? Ihm ist am entscheidenden Punkt das rechte, das göttliche Licht aufgegangen. Das Licht dieser Erkenntnis hat sein Handeln für den Rest des Films geleitet, es geführt, Sicherheit gegeben und motiviert.
Seht ihr dieses Licht? – Ich denke wir, die wir heute hier sind, haben eine mehr oder weniger große Ahnung vom göttlichen Licht, für das Weihnachten steht. Uns ist es vertraut und wir vertrauen ihm. Uns stärkt und stützt es den Glauben, die Hoffnung und alle Zuversicht. Zurückliegend hat es uns geleitet und geleuchtet. Ich wünsche uns allen, dass es uns durch das ganze noch junge Jahr leuchtet und leitet. Dass es uns anleitet und führt – wie es damals die Weisen nach Bethlehem und anschließend weiter und wieder nach Hause geführt hat. Dass es uns an unsere Ziele und ans Ziel führt. Amen.