Leute, was geht es uns gut!
Predigt über Römer 8, 31b-39 von Pfarrer Klaus Vogel am Altjahresabend 2022, gehalten in Präsenzgottesdiensten in der evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim (von da aus auch gestrammt) sowie in der Martinskirche zu Kraichtal-Münzesheim.
Kanzelgruß
Römer 8, 31b – 39
31 …Gott selbst ist für uns, wer will sich dann gegen uns stellen?
32 Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle in den Tod gegeben. Wenn er uns aber den Sohn geschenkt hat, wird er uns dann noch irgendetwas vorenthalten?
33 Wer kann die Menschen anklagen, die Gott erwählt hat? Gott selbst spricht sie frei.
34 Wer kann sie verurteilen? Christus ist für sie gestorben, ja noch mehr: Er ist vom Tod erweckt worden. Er hat seinen Platz an Gottes rechter Seite. Dort tritt er für uns ein.
35 Kann uns noch irgendetwas von Christus und seiner Liebe trennen? Etwa Leiden, Angst und Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahren für Leib und Leben oder gar die Hinrichtung?
36 Es ergeht uns wirklich so, wie es in den Heiligen Schriften steht: »Weil wir zu dir, Herr, gehören, sind wir ständig in Todesgefahr. Wir werden angesehen wie Schafe, die zum Schlachten bestimmt sind.« (Ps 44, 23)
37 Aber mitten in alldem triumphieren wir als Sieger mithilfe dessen, der uns so sehr geliebt hat.
38 Ich bin ganz sicher, dass nichts uns von seiner Liebe trennen kann: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen noch andere gottfeindliche Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Himmel noch Hölle. Nichts in der ganzen Welt kann uns jemals trennen von der Liebe Gottes, die uns verbürgt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde, was haben Filme mit James Bond, mit John Wayne und mit Bud Spencer gemeinsam? – Nun, in diesen Filmen sind die dargestellten Typen jeweils die ganz großen Meister, die – im Falle von Western – nichts und niemand aus dem Sattel wirft – im Gegenteil: die Helden werfen oder schießen ihrerseits alles aus dem Sattel, was sich ihnen in den Weg stellt. Sie sind unangefochten, unverwundbar, unbesiegbar. Denen pinkelt niemand ans Bein – und wenn, dann war es zugleich das erste und das letzte Mal. Gott selbst ist für uns – wer will sich dann gegen uns stellen? Gottgleich und übermenschlich sind die Helden in diesen und in anderen Filmen – Das alles ist jedoch virtuelle Filmwelt.
Ein anderes Beispiel für „Gott für uns bzw. mit uns“ – eines aus der Realität – finden wir auf dem Schriftzug, der auf soldatischen Koppelschlössern zu lesen war. Bei den deutschen Soldaten im Kaiserreich und im sog. Dritten Reich war die Aufschrift zu lesen: „Gott mit uns“. Im Kaiserreich mag da auch Überzeugung seitens der Herrschenden dabei gewesen sein. Eine riesengroße Anmaßung war es in jedem Fall. Bei den Nazis war es der blanke Hohn. Hitler hat Glaube, Religion und Christentum verachtet. Immerhin aber war es ganz sicher so, dass die Aufschrift von Millionen Soldaten, Männern, die sie am Koppelschloss trugen, für sich persönlich erhofft und geglaubt wurden: Gott mit mir… hoffentlich ist Gott mit mir und bei mir… bei dieser Schlacht, diesem Angriff, diesem Vorstoß… Hoffentlich beschützt und begleitet er mich durch diesen Wahnsinn. Damit sind wir wieder bei Paulus, unserem Predigttext und seinem Anfang: „Gott selbst ist für uns, wer will sich dann gegen uns stellen?“ Absolut nichts und niemand hat als Ankläger oder Richter Zugriff auf uns und unser Leben… als geistlicher Zuspruch, als seelsorgerliches Trost- und Mutmachwort ist das unglaublich wohltuend. Balsam für geschundene Seelen. Paulus packt dann – als ob er meinte, seinen Zuspruch noch begründen zu müssen – die ganze Heilsgeschichte in einen Satz: Das alles gilt, weil Christus für uns gestorben, auferstanden, aufgefahren und an Gottes rechter Seite zum Sitzen gekommen ist. Das allerdings ist eine dogmatische Aussage bzw. Antwort und Paulus weiß wohl, dass dogmatische Antworten nicht die befriedigendsten sind. Vor allem aber weiß er, dass die Alltagsrealität der Christen in Rom – und nicht nur dort – anders aussieht, als die dogmatische Antwort vorgibt.
Die Alltagsrealität sieht – auch das schreibt Paulus – so aus: Leiden, Angst, Untergrund und Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahren für Leib und Leben oder gar die Hinrichtung? Ständige Todesgefahr. Paulus hat somit das Problem, dass die Alltagswelt der Christen damals gar nicht passt – jedenfalls nicht zu passen scheint zu seinem großen Satz vom Anfang und am Schluss: „Gott selbst ist für uns – wer will sich dann gegen uns stellen?“ Machen wir an der Stelle einen Sprung zu unserer Alltagswirklichkeit. Die etwas weniger beheizten Kirchen und öffentlichen Gebäude und die Empfehlung, auch privat jedes Grad einzusparen, das wir verkraften können – das kann ganz schwach an die von Paulus erwähnte Kälte erinnern. Aber sonst? Hunger, Angst, Todesgefahr – Totale Fehlanzeige. Unsere Probleme sind verglichen mit damals und durchaus auch global – reine Luxusprobleme – jedenfalls weit überwiegend . Ein Freund von mir resümiert entsprechende Gespräche im privaten Raum gerne mit dem, Satz: „Leute, was geht es uns gut!“ Mir ist sehr bewusst, dass dies nicht auf alle unter uns hier und in unserer Gemeinde zutrifft und ich bitte von Herzen, dass diejenigen, die das hören und die zurzeit große Sorgen und Päckchen mit sich tragen müssen, mir das, was ich gesagt habe, nicht als Ignoranz auslegen. Damals ging es der Mehrheit der christlichen Gemeinde schlecht – heute geht es der Mehrheit unserer Gemeindemitglieder gut. Das ist der Unterschied. Darum möchte ich das an dieser Stelle – und besonders auch an diesem Tag, dem letzten des Jahres – auch sehr bewusst von hier aus sagen: „Leute, was geht es uns gut!“ Dadurch, liebe Geschwister, steht – nicht nur heute – Dank auf unserer To Do Liste. Dank dafür, dass wir in unserem Land trotz allem materiell in vielerlei Hinsicht so gesegnet sind. Leute, was geht es uns gut. Dank ist das eine – das Denken an sehr viele Menschen und Glaubensgeschwister, denen es – offen gesagt – dreckig geht, ist das andere. Dreckig und schlecht bis hin zu akuter Todesgefahr. Christen sind etwa die am meisten verfolgte religiöse Gruppe weltweit. Wer es nicht glaubt, schaue nach auf www.opendoors . Danken, denken und solidarisch sein mit den Glaubensgeschwistern, die nicht so privilegiert sind wie wir, das entnehme ich heute den Worten des Paulus.
Doch und jedenfalls bei uns…ansonsten… „alles gut? – alles gut!“ [ist zum Gruß geworden]…mitnichten.
„Weil wir zu dir, Herr, gehören…“ sei alles gut… schreibt Paulus. Ich frage mich dabei: Wer ist “wir“? Schließlich erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich zwei Tage vor Heiligabend mit einem Oberöwisheimer Gemeindeglied geführt habe. Der Mann erzählte mir von einer Kollegenrunde (5 oder 6) in der Firma, als auf einmal „Kirche, Glaube…“ thematisiert wurde. Dabei hat sich ganz schnell herausgestellt, dass er in diesem Kreis noch der einzige ist, der einer Kirche angehört – alle anderen ausgetreten oder nie drin gewesen. Im zu Ende gehenden Jahr wurde diese 50% Marke unterschritten: Ab 2022 (Februar?) gehören weniger als 50% der deutschen Bevölkerung der evangelischen oder der rk Kirche an. Sekten und Freikirchen sind dabei nicht mitgezählt. Die nächste Marke wird sein, dass weniger als 50% einer irgendwie christlichen Kirche angehören. Dann wird das nächste sein, dass es zunächst mehr Muslime als Protestanten gibt, dann mehr Muslime als Katholiken… und irgendwann mehr Muslime als Christen insgesamt. Ich möchte aber heute nicht beklagen, dass es immer mehr Muslime gibt – solange sie jedenfalls nicht zu Islamisten werden. Vielmehr sehe ich mit großer Sorge und letztlich völlig ratlos, wie so große Zahlen von Menschen der/den Kirche/n den Rücken kehren – und wenn sie das nicht tun, dann verblasst und verflüchtigt sich jedenfalls bei so vielen der Glaube… spielt keine Rolle mehr, wird belanglos wie das kostenlose Wochenblatt im Briefkasten. Doch weil diese düstere Zukunftsaussicht auf keinen Fall der Schlussakkord sein und bleiben kann, möchte ich Ihnen, Euch und uns noch einmal zurufen: Leute, was geht es uns gut. Und ich tue das nicht, weil es psychologisch geschickt ist, mit etwas Positivem aufzuhören, sondern aus übervoller Überzeugung und Freude: Was geht es uns gut, dass wir heute hier sind, dass uns unser Glaube übers Jahr nicht abhandengekommen ist, dass wir den klaren Blick auf Christus und das Himmelreich haben dürfen, dass wir für das zu Ende gehende Jahr Gott danken können. Gott danken für alle Begleitung, alles Gute, allen Segen… und dass wir in wenigen Stunden in das neue Jahr gehen werden mit einer hoffentlich riesigen Portion Zuversicht, großem Gottvertrauen, festem Glauben und aller Gewissheit, dass nichts in der ganzen Welt, absolut gar nichts uns jemals trennen kann und trennen wird von der Liebe Gottes, die in Bethlehem sich manifestiert hat für uns, für immer und für ewig. Amen.