Gott ist größer
Predigt über Röm 11, 30-36 von Pfarrer Klaus Vogel am Sonntag Trinitatis, 12. Juni 2022, gehalten in der Kreuzkirche zu Kraichtal-Unteröwisheim im Präsenzgotesdient und in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenz-/Hybridgottesdienst.
Kanzelgruß
Liebe Gemeinde,
heute ist alles kompliziert. Dieser Sonntag ist es und der Predigttext – zumindest der Römerbrief aus dem der Text stammt und besonders die Kapitel 9-11. Ich lese den Text nachher.
Trinitatis, das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit feiern wir am Sonntag nach Pfingsten, Jahr für Jahr. Fast von Anfang an provozierte die Vorstellung von Gott in einer wie auch immer – aber in jedem Fall sehr schwer nur genau vorstellbaren – Dreiheit extrem viel und meist erbitterten Streit mit Abspaltungen, Trennung, gegenseitiger Verdammung und fundamentalen Kontroversen. Auch eine Synode zum Thema, die 449 in Ephesus stattfand, ist in die Kirchengeschichte als sog. „Räubersynode“ eingegangen. Das ging damals tatsächlich bis hin zu Intrigen, Verrat, Mord und Totschlag auf höchster – auch höchster kirchlicher Ebene. Die damaligen Streitparteien, schreckten vor buchstäblich nichts zurück. Es ging immer um die Frage, wie das Verhältnis von drei göttlichen Phänomenen im Rahmen der Vorgabe, dass es nur eine einzige Gottheit gibt, denkbar ist. Dazu ging es auch darum, ob Christus ganz und komplett Gott ist. Oder ob er nur ein „Halbgott“ ist, wie sich seine menschliche und seine göttliche Seite zueinander verhalten. War er ganz oder gar nicht Mensch – oder irgendetwas halb halbes dazwischen? Wir befinden uns hier ganz schnell in theologischen und philosophischen Dimensionen auf allerhöchster Ebene. Beim einfachen Lesen verstehe ich selbst da auch vieles nicht und müsste mich tage- wenn nicht wochenlang in die Materie hineinfuchsen, um die Details und Feinheiten zu durchdringen… und es ist ja so, dass, sofort wenn man die Oberfläche verlässt, tiefschürfendste Fragen sich auftun. Für heute und am Trinitatissonntag mag das Beispiel vom Wasser genügen. Mir hilft es bei dem Thema immer ganz gut: Wasser, H2O, ist ein bestimmter chemischer Stoff. Derselbe Stoff kann mir als Eis, als Flüssigkeit und als Dampf begegnen. Drei ganz unterschiedliche Erscheinungsformen, drei völlig verschiedene Wirkmöglichkeiten, drei gänzlich verschiedene Anwendungsoptionen ein und desselben Stoffes. Ein mögliches Bild für Trinitatis, die Dreifaltigkeit, die dreifache Wahrnehmbarkeit, Wirklichkeit und Wirkweise Gottes.
Die andere Megaschwierigkeit begegnet uns im Text aus dem Römerbrief. Dieser ist an sich schon einer der theologisch anspruchsvollsten Texte im NT und die Kapitel 9-11 darin haben es besonders in sich. Hier arbeitet sich Paulus am Thema „Christus und die Juden“ ab. Er tut das nicht nur akademisch, sondern existenziell zu allem entschlossen und persönlich zutiefst betroffen. Das Ausgangsproblem ist ja, dass die Juden in ihrer großen Mehrzahl Jesus nicht als den Messias, Heiland, Retter erkennen können bzw. wollen. Die Dimension seines Leidensdrucks wird in 9, 3 deutlich, wo Paulus seine Bereitschaft äußert, selbst verflucht, verdammt und verworfen zu sein, wenn es nur dazu führen würde, dass die Juden Christus als Messias anerkennen würden. Halten wir an der Stelle kurz inne: Was müsste passieren, dass wir sagen würden: dafür gebe ich alles – auch mein Leben – hin, wenn ich dies und das verhindern, erreichen oder rückgängig machen könnte? So weit jedenfalls würde Paulus gehen – so weit, wie es weiter eigentlich gar nicht gehen kann. Das Thema ist ihm Herzensanliegen und die Ausführungen sind mit Herzblut geschrieben.
Nun der Predigttext. Ich habe ihn nach vorne um 2 Verse erweitert.
Kanzelgebet
Röm 11, 30 Früher habt ihr (Römer, Heiden) Gott nicht gehorcht. Aber weil die Juden Christus ablehnten, hat Gott euch seine Barmherzigkeit erfahren lassen. 31 Jetzt wollen die Juden nicht glauben, dass Gott durch Christus mit jedem Menschen barmherzig ist, obwohl sie es doch an euch sehen. Aber auch sie sollen schließlich Gottes Barmherzigkeit erfahren. 32 Denn Gott hat alle Menschen ihrem Unglauben überlassen, weil er allen seine Barmherzigkeit schenken will. 33 Wie groß ist doch Gott! Wie unendlich sein Reichtum, seine Weisheit, wie tief seine Gedanken! Wie unbegreiflich für uns seine Entscheidungen und wie undurchdringlich seine Pläne! 34 Denn »wer kann Gottes Absichten erkennen? Oder wer hat ihn je beraten?« 35 »Wer hat Gott jemals etwas gegeben, das er nun von ihm zurückfordern könnte?« 36 Denn alles kommt von ihm, alles lebt durch ihn, alles vollendet sich in ihm. Ihm gebühren Lob und Ehre in alle Ewigkeit! Amen.
Der Kern der Ausführungen ist der Lobpreis Gottes am Ende. Dazu und dahin kommt Paulus aber von einem großen Dilemma her: Zuerst haben die Römer – eigentlich ganz allgemein alle Nichtjuden, den Abraham Glauben abgelehnt. Daraufhin kam Christus (hat Gott Christus geschickt), der viele Römer und Nichtjuden zum Glauben an den Gott Abrahams geführt hat, der den Glauben ausgeweitet („globalisiert“) hat, doch dabei sind die Juden – flapsig ausgedrückt – von der Stange gegangen. Nichtjuden sind durch Christus zum Glauben gekommen, doch die Juden sind dem durch Jesus ergänzten Glauben entschieden ferngeblieben. Eine echte Dilemma Situation, wie im wirklichen Leben: Ein Problem gelöst und genau dadurch ein anderes verursacht. Doch Paulus wäre nicht Paulus, würde er sich davon in irgendeiner Weise ausbremsen lassen.
Sehr bemerkenswert – und ein Schlüssel zum Verständnis finde ich wie groß und großzügig, ja wie weit und weitherzig Paulus hier denkt: 32 „Denn Gott hat alle Menschen ihrem Unglauben überlassen, weil er ALLEN seine Barmherzigkeit schenken will.“ – So heißt es in der Hoffnung für alle und bei Luther: 32 „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich ALLER erbarme.“ Es mag am Glauben fehlen, bei den Juden und bei den Christen, gleichzeitig und nacheinander. Glaube und Unglaube sind unstet und flüchtig, instabil und fragil. Doch eines steht fest, fest und unerschütterlich wie die deutsche Eiche in einem gesunden Wald: Gottes Barmherzigkeit. Sie steht am Ende. Sie hat das letzte Wort. Es ist geradezu in Stein gemeißelt: Barmherzigkeit ist Gottes letzte Tat. Gott will sie allen schenken, Gott will sich aller erbarmen. Gottes Erbarmen steht und kommt nach und trotz allem theologischem und anderem Streiten. Gottes Erbarmen ist der große Schlussakkord. Das ist die unerschütterliche Grundüberzeugung des Paulus. Und – eigentlich folgerichtig münden seine Überlegungen in einen mächtigen – ja überschwänglichen Lobpreis Gottes: 33 Wie groß ist doch Gott! Wie unendlich sein Reichtum, seine Weisheit, wie tief seine Gedanken! Wie unbegreiflich für uns seine Entscheidungen und wie undurchdringlich seine Pläne! 34 Denn »wer kann Gottes Absichten erkennen? Oder wer hat ihn je beraten?« 35 »Wer hat Gott jemals etwas gegeben, das er nun von ihm zurückfordern könnte?« 36 Denn alles kommt von ihm, alles lebt durch ihn, alles vollendet sich in ihm. Ihm gebühren Lob und Ehre in alle Ewigkeit! Amen.
Es geht hier nicht darum, uns Menschen klein zu machen – wir sind es schon! Es geht allein um die Größe Gottes. Wir finden hier ein Lob der Größe Gottes, wie es das in dieser Klarheit, Uneingeschränktheit und Ausführlichkeit in der ganzen Bibel nicht oft gibt. Vielleicht haben Sie sich zwischendurch gefragt, was das mit Trinitatis und Dreifaltigkeit zu tun hat. Davon schreibt Paulus ja kein Wort. Aber er schreibt über Gott. Er schreibt demütig und ehrfürchtig von Gott. Das ist der entscheidende Punkt. Es geht an Trinitatis um Gott und insofern allenfalls mittelbar um die Dreifaltigkeit. Gott ist Gott und wir sind Mensch, Menschen. In Richtung Mensch geschaut ist zu sagen: Wir sind im Gegenüber zu Gott mickrig klein, machtlos und unscheinbar. Eine Erkenntnis zu der auch Hiob ganz am Ende seines Buches kommt, wenn er sagt: „Herr, ich erkenne, dass du alles zu tun vermagst; nichts und niemand kann deinen Plan vereiteln. 3 Du hast gefragt: ›Wer bist du, dass du meine Weisheit anzweifelst mit Worten ohne Verstand?‹ Ja, es ist wahr: Ich habe von Dingen geredet, die ich nicht begreife, sie sind zu hoch für mich und übersteigen meinen Verstand.“ (Hiob 42, 2f). In Richtung Gott geschaut, sind wir Menschen daher mehr als überfordert. Paulus gebraucht die Begriffe „unbegreiflich“ und „undurchdringlich“. Ich habe heute vor einer Woche bei einem privaten Treffen ein intensives Gespräch mit einem Mann gehabt, der sich sehr ausdrücklich als Atheist bezeichnet und das auch vertreten hat. Es ist ganz klar, dass man auf diesen Gedanken kommen kann angesichts der Unbegreiflichkeit und der Undurchdringlichkeit Gottes. Andererseits wendet sich dieser Gott uns zu und das letzte Wort dieses Gottes ist Barmherzigkeit. Barmherzigkeit und Liebe. Und dies nicht einfach nur so daher gesagt, sondern seine Liebe und Barmherzigkeit sind wirklich, sichtbar und verstehbar, sie sind Fleischgeworden in Jesus von Nazareth und sie werden an Jesu Worten verständlich und wohltuend und an seiner Auferstehung erlösend. Amen.