Die Verwandlung
Predigt über Lk 24,13-35 von Pfarrerin Sophia Leppert am Ostermontag, 18. April 2022, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenzgottesdienst.
Die Verwandlung – eine Ostergeschichte:
Immer wieder zog es die Libellenlarve in ihrem Tümpel nach oben, wo sie die Wasseroberfläche durchstieß. Ein Wasserkäfer sah ihr eine Weile zu. Dann fragte er: „Was suchst du da oben?“ „Ach“, erwiderte die Libellenlarve, „in mir drin ist eine Sehnsucht nach dem, was da oben ist. Einen hellen Schein habe ich gesehen und merkwürdige Schattengestalten, die über mich hinweggehuscht sind. Aber meine Augen sind anscheinend nicht dafür geeignet, für das, was über dem Tümpel ist.“ Der Käfer lachte: „Fantastereien! Glaub mir als erfahrenem Wesen: Ich habe den ganzen Tümpel durchschwommen. Er ist die Welt, und die Welt ist der Tümpel. Außerhalb davon gibt es nichts!“ „Aber ich habe doch den Lichtschein gesehen und die Schatten –“ „Hirngespinste sind das! Was ich fühlen und schmecken kann, das ist sie Wirklichkeit.“ Es dauerte nicht lange, da schob sich die Libellenlarve aus dem Wasser heraus. Flügel waren ihr gewachsen, goldenes Sonnenlicht und blauer Himmelsschein umspülten sie, und sie schwebte schimmernd über den Tümpel davon.
(Mündlich überliefert)
Sehnsucht haben die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Sehnsucht nach da oben, was über dem Tümpel der vergangenen Tage liegen würde. Wo ist Gott?! Wo ist sein Lichtschein in all den Schatten? Gibt es doch nichts außerhalb dieses Leides, dieses Tümpels, außerhalb des Todes, der Qualen, der Todesqualen Jesu?
Zu zweit sind sie unterwegs, die Jünger. Nicht alleine. Und sie reden miteinander. Drehen und wenden gedanklich die letzten Tage hin und her, sind miteinander im Austausch. Sie finden Worte für ihre Gedanken. Überlegen hin und her. Zu einem Schluss kommen sie nicht. Wie auch, Ostern setzt keinen Punkt, sondern einen Doppelpunkt. Einen neuen Anfang, es geht weiter.
Sie gehen weiter und Jesus geht mit. Er läuft längst unsere Wege mit, folgt den Pfaden deiner Gedanken. Vertrauenswürdig scheint er zu sein, zumindest den beiden Männern. Denn sie zeigen ihm ihre Traurigkeit. Ehrlich sind sie, spielen sich nichts vor, und Jesus auch nicht. Kein vermeintlich frommes „Es wird schon irgendeinen Sinn haben“ oder „Wir müssen einfach glauben“.
Traurig sind sie, enttäuscht, vielleicht auch wütend, denn die Tatsachen sprechen so laut wie der Wasserkäfer im Tümpel: Das war´s mit Jesus und seinem Reich der Liebe, mehr gibt es nicht.
Jesus fragt sie: Was ist los? Er fordert die beiden zum Erzählen auf und erzählen heißt verarbeiten. Die Gedanken der bloßen, geschundenen Seele in ein Kleid aus Sprache zu hüllen. Und so erzählen die Jünger: „Wir hatten doch gehofft.“
Wir hatten doch gehofft. Dass dieser Krieg nicht ausbricht. Wir hatten doch gehofft, dass unsere Ehe hält. Dass wir ein Kind bekommen. Dass aus den Kindern was wird. Dass wir gesund bleiben. Aber. Aber, sagen die Jünger.Aber. Und Jesus sagt: Warum fällt es euch so schwer zu glauben?
Weil die Welt augenscheinlich anders aussieht. Du hast gut reden, Jesus, denke ich. Warum seid ihr so begriffsstutzig?, na danke. Hast du dich hier mal umgesehen?!
Der Vorteil, den die Jünger vielleicht haben, ist: Jesus erklärt ihnen ihre Welt. Warum das alles so ist, wie es ist.
Und die Jünger bitten ihn: »Bleib doch bei uns! Es ist fast Abend, und der Tag geht zu Ende!«
Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget. (EG 483 singen)
Die Jünger wollen in ihrer Nacht nicht alleine sein. Ich will in meinen Seelennächten nicht alleine sein. Sie sagen nicht: „Erklär uns weiter die Welt, Jesus!“ Nein, sie bitten: Bleib doch bei uns! Seine Nähe wollen sie spüren. Dass er da ist. Bleib doch bei uns! Seine Gesellschaft scheint tröstlich zu sein. Und Jesus bleibt. Bleibt an ihrer Seite. An deiner.
Er ging mit ihnen ins Haus und blieb dort.
Und dann erkennen sie ihn. Mit der Zeit wird es Ostern, dämmert es ihnen. Es braucht eine ganze Weile. Unerkannt war Jesus an ihrer Seite, ist er an deiner Seite. Am Ende, im Rückblick sagen sie: „Brannte nicht unser Herz? Hatten wir es nicht schon irgendwie im Gefühl?“
Sie haben also doch schon den Lichtschein gesehen, oder zumindest gespürt. Und als sie sich dann aus ihrem Wasser, ihrem Tümpel herausschieben, herausgezogen werden, als ihre Augen geöffnet werden, als sie Jesuserkennen – da schweben sie. Zurück nach Jerusalem schweben sie, um es schnell weiterzusagen, was sie erlebt haben: Das goldene Sonnenlicht und den blauen Himmelsschein über dem Tümpel des Todes, der Enttäuschung, der Wut. Den Auferstandenen haben sie gesehen!
Sie haben ihn erkannt, aber sie haben ihn nicht. Sie können ihn nicht festhalten, und das scheint nicht schlimm. Weg ist die Traurigkeit.
Goldenes Sonnenlicht und blauer Himmelsschein mitten im Leben, in meinem Leben, auf deinem Weg. Staunende Erkenntnis, klopfendes, brennendes Herz, ein bisschen schweben. Heute vielleicht. Es werde wahr bei uns. Mit uns. Mit ihm.
Amen.