Freikarte in den Himmel
Predigt über Joh 6, 37 (Jahreslosung 2022) von Pfarrer Klaus Vogel am 1. Sonntag nach dem Christfest, 2. Januar 2022, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenz-/Hybridgottesdienst
Die Jahreslosung für das Jahr 2022
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Kanzelgruß
Liebe Gemeinde,
am 2. Tag des noch jungen Jahres feiern wir heute unseren 1. Gottesdienst des Jahres in unserer vor kurzem 50 Jahre jung gewordenen Kirche. Die Jahreslosung soll heute im Mittelpunkt der Verkündigung bzw. des Nachdenkens stehen. Ein Wort Jesu aus dem Johannesevangelium. Ganz überwiegend wird diese Übersetzung angeboten: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“. Sie findet sich auf der Flut an Karten, Kerzen, Kalendern – auch Bleistiften – und anderem, was die christlichen, religiösen Verlage anbieten. Die große Masse an Bildmotiven, welche die Verlage dem Vers beigeben ist mir regelmäßig zu kitschig oder zu nichtssagend abstrakt. Meistens spricht mich die künstlerische Umsetzung des Hamburger Designers Andreas Kasparek dagegen sehr an – so auch wieder in diesem Jahr. Sie halten sein Produkt in Händen. Eine Postkarte, die als „Freikarte“ daher kommt. Die Jahreslosung steht auf der Rückseite unten – und ist geringfügig anders, als der Vers sonst meist begegnet: „Die zu mir kommen, werde ich nicht abweisen“. Das ist gegendert. Denn wenn ich sage wer zu mir kommt, den werde ich… setzt das einen Mann voraus, was nicht richtig ist. Der biblische Text meint alle – wirklich alle. Man muss das Gendern nicht gut finden, aber es ist hier nicht verkehrt. Dennoch ist es nicht der entscheidende Punkt, auf den es ankommt. Schauen wir uns doch gleich die Karte von vorne an. „Freikarte“ steht ganz groß drauf. Weiß auf Blau – nicht schwarz auf weiß. Freikarten sind ja etwas Herrliches. Beim Besuch einer Veranstaltung kann ich die Kassenhäuschen links (oder rechts) liegen lassen und komme einfach so rein „fer umme“. Das letzte Mal, dass ich in den Genuss einer Freikarte gekommen bin, war vor ein paar Wochen in Bretten im Kino. Es lief der aktuelle James Bond. Die Freikarte war schon ziemlich alt aber gerade noch so eben gültig. Sie stammte von meiner Tochter und war ein Weihnachtsgeschenk der „Brettener Woche“ an sie. Wann und wo haben Sie zuletzt mit einer Freikarte eine Veranstaltung besucht?………….
Die andere Frage, die mir sofort gekommen ist, ist die, wofür ich denn gerne eine Freikarte hätte? Mir fällt da ganz schnell einiges ein: Ich träume von einer Freikarte für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Gestern waren sie wieder im TV zu sehen und vor allem zu hören. Zum 83. Mal, wenn ich richtig gezählt habe. Jedes Jahr genieße ich das Konzert vor dem Fernseher… Auch eine zweistündige Fahrt im Zeppelin von Friedrichshafen nach Schaffhausen ist bei mir ein heißer Kandidat für eine Wunschfreikarte. Welche Träume im Blick auf Freikarten haben Sie? Wofür hätten Sie gerne eine Freikarte?………..
Warum aber verschenken wir heute in der Kirche Freikarten? Sogar frei übertragbare und unbegrenzt gültige Freikarten? Es sind Freikarten in den Himmel. Sie sind so etwas wie das Gegenteil früherer Ablassbriefe. Da war der Himmel sauteuer. Er hat gekostet, dass es richtig wehgetan hat. In der Tradition unserer protestantischen Kirche liegt die Betonung darauf, dass der Himmel jetzt umsonst ist. Er war zwar extrem teuer. Aber nur für Jesus am Kreuz. Er hat ihn das Leben gekostet. So wurde der Himmel für uns ein Geschenk. Das Problem heutzutage ist aber, dass viele in unserer westlichen Welt den Himmel völlig aus den Augen, aus dem Sinn, dem Kopf, und am schlimmsten: aus dem Herz verloren haben; viele haben den Himmel längst nicht mehr auf Schirm und Zettel. Die Freikarte zu der Andreas Kasparek die Jahreslosung macht, konfrontiert uns automatisch mit dem Himmel. Sie erinnert an den Himmel, bringt den Himmel ins Gedankenspiel. Sie gibt denen, die den Himmel verloren haben den Impuls: Und wenn es den Himmel doch gibt, wenn es Gott doch gibt…? Der Himmel, an den (wir) Christen glauben, ist kein teures Pflaster und kein Ort der Angst. Es ist ein Ort der Weite und der Freiheit, der Gemeinschaft und der Großzügigkeit Gottes. Ein Ort zu dem es mit einer grenzenlos gültigen Freikarte geht. Es gibt einen tollen Kanon ohne den früher Kirchentage fast nicht möglich waren: „Der Himmel geht über allen auf – auf alle über – über allen auf.“ (2x)
Es ist die Freikarte in die Ewigkeit, die Freikarte zu Christus. Der wird jedenfalls diejenigen, die zu ihm kommen nicht abweisen. Auf gar keinen Fall. Was kennen wir aus dem wirklichen Leben für Abweisungs- und Ablehnungsgründe…? Kein aktueller Test, keine (noch gültige) Impfung, die Frist versäumt, das falsche/veraltete Formular verwendet, eine fehlende Unterschrift, eine nicht vorhandene Anlage… die deutsche Bürokratie ist eine Fundgrube für Verzögerung, Unzuständigkeit und Ablehnung. – Jesus dagegen sagt: „[Alle], die zu mir kommen, werde ich nicht abweisen!“ Die Rückseite unserer Karte zeigt sehr eindrucksvoll wie weit gefasst dieser Satz der Jahreslosung verstanden werden kann – ja muss: „Die weinen, Die zweifeln, Die lachen, Die widersprechen, Die sich sehen, Die lieben, Die luftiküssen, Die suchen, Die träumen, Die stolpern, Die hartnäcken, Die sich schämen, Die warten, Die Fühlen, Die kämpfen, Die freigeistern, Die sich wundern, Die stören“… Jesus wird niemanden abweisen. Wer zu ihm kommt, muss nicht einem bestimmten Milieu angehören oder einem bestimmten nicht angehören, muss nicht in ein bestimmtes Schema passen. Wenn ich mir die Liste von „Die weinen…“ bis „…Die stören“ anschaue, dann fallen mir zu jedem angesprochenen Punkt Menschen aus unserer Gemeinde ein und das ist gut so. Die Gemeinde Jesu Christi ist eine Gemeinschaft der Verschiedenartigkeiten, eine bunte und wundervolle Community. Vergessen wir das nicht – und lassen wir uns davon regelmäßig herausfordern…
Schauen wir uns doch noch einmal die Liste auf der Rückseite an. Welche drei würden wir keinesfalls abweisen? Welche drei würden wir gerne und spontan aufnehmen und uns mit ihnen unterhalten, vielleicht sogar bewirten, verwöhnen befreunden? Die, „Die lachen? Die Weinen? Die Lieben?“ Oder doch eher die, „Die träumen?“ Spannend, weil herausfordernd wird es, wenn wir nach den anderen suchen. Drei, die es bei uns, bei mir schwer hätten, die wir sehr gerne meiden würden, wo wir vielleicht denken: Nicht auch das/die/der noch… meine Nerven sind auch so schon an der Belastungsgrenze. Ich hab einfach keinen Bock auf die, „Die nerven, Die widersprechen, Die stören…“ keine Lust auf Luftikusse und Hartnäckige.
Jesus nimmt sie und Jesus nimmt uns an und auf.
Jesus verteilt großzügig an sie und an uns Freikarten…
Die Jahreslosung erinnert uns daran und sie könnte das Jahr über zu uns sprechen und uns erinnern: Sei auch du großzügig, habe ein weites Herz und gute Gedanken. Mach’s wie Jesus, zumindest ein bisschen, so gut es eben geht. Freue dich an den Menschen, denen du begegnest. Nimm sie auf – in jedem Fall in deinem Herzen – und denke daran, dass du womöglich die Ewigkeit mit ihnen verbringst, denn sie haben auch eine Freikarte. Amen