Von Softchristen, Waldchristen und Autoscootern
Predigt über Matthäus 10, 34-39 von Pfarrer Klaus Vogel am 21. Sonntag nach Trinitatis, 24. Oktober 2021, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenz-/Hybridgottesdienst
Kanzelgruß
Matthäus 10
34 »Meint nur nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Nein, ich bringe Kampf!
35 Ich werde Vater und Sohn, Mutter und Tochter, Schwiegertochter und Schwiegermutter gegeneinander aufbringen.
36 Die eigenen Angehörigen werden zu Feinden!
37 Wer seinen Vater oder seine Mutter, seinen Sohn oder seine Tochter mehr liebt als mich, der ist es nicht wert, mein Jünger zu sein.
38 Und wer nicht bereit ist, sein Kreuz auf sich zu nehmen und mir nachzufolgen, der kann nicht zu mir gehören.
39 Wer sich an sein Leben klammert, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben für mich aufgibt, der wird es für immer gewinnen.«
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
wie ist es Ihnen gerade gegangen, als Sie diesen Text gehört haben? Ich stelle mir vor, wenn ich diese Worte völlig unvorbereitet zu Gehör bekommen würde und säße in seliger Sonntagsstimmung in der Kirche zum Gottesdienst, ich würde das als verstörend empfinden. Es sind scharfe Sätze, die wir alles andere als zuerst mit Jesus verbinden, dem lieben Jesulein, das schon recht bald wieder zart und fein, anmutig und armselig im Krippelein liegen wird, bei dessen Geburt die Engel vom Himmel „Ehre sei Gott… und Friede auf Erden“ gesungen haben. Wir verbinden es auch nicht mit dem Jesus, der die Gebote hochgehalten und wertgeschätzt hat… und eines von diesen heißt doch immerhin „Du sollst Vater und Mutter ehren“. 5 Kapitel vorher, Mt 5, auf dem Berg, auf dem Jesus seine bekannteste Rede gehalten hat, sagt er in dieser: „Selig sind die, die Frieden stiften…“
Es baut sich hier eine gewaltige Spannung auf. Spannung, was Jesus nun eigentlich will: Krieg oder Frieden, Zerwürfnis oder Harmonie, Hass oder Liebe… Spannung, ob Spaltung das letzte Wort sein oder haben wird.
Folgendes Beispiel habe ich auf der Homepage der Zeitschrift Brigitte gefunden: Sie liebt ihren Mann. Sie liebt ihren Sohn. Aber die beiden kommen einfach nicht miteinander klar. Seit Jahren versucht sie den Streit zu schlichten. Vergeblich.
Sie sagt: „Was ich auch tue, ich kann es ihnen nicht recht machen. Keinem von beiden. Weder Werner, meinem Mann, noch Ben, unserem Sohn. Einen habe ich immer gegen mich.
Neulich zum Beispiel. Mein Geburtstag. Wir sitzen am Kaffeetisch – ein paar Freunde sind da und unsere Tochter mit ihrem Mann -, als ein großes schwarzes Auto in unsere Auffahrt einbiegt. „Mensch, die neue M-Klasse“, sagt unser Schwiegersohn und pfeift durch die Zähne. Werner schaut mich irritiert an: „Hat Ben ein neues Auto?“
Ich stehe immer dazwischen.
„Ja“, sage ich mit schlechtem Gewissen. Ich habe davon gewusst, er nicht. „Wozu soll ich es Papa erzählen?“, hat unser Sohn am Telefon gesagt. „Er interessiert sich ja doch nicht dafür.“ Und schon hatte ich ihn wieder, den Schwarzen Peter. „Schau dir den Wagen doch wenigstens an“, bitte ich meinen Mann. „Ben ist so stolz!“ „Worauf? Auf über 20 Liter Benzinverbrauch?“, knurrt Werner. „An die Umwelt denkst du wohl nicht?“, ist sein einziger Kommentar, als Ben aus dem Auto steigt. „Und du? Mit deinem Diesel, dieser alten Rußschleuder?“, gibt Ben zurück, ohne seinen Vater auch nur anzusehen.“
„Hört auf damit!“, möchte ich schreien. Aber wir haben ja Gäste. Werner geht wortlos ins Haus. Ben hebt unschuldig die Hände: „Ich hab nicht angefangen.“ (Zitat Ende)
In meinem Beruf bekommt man ziemlich viel erzählt. Menschen erzählen mir bei diversen Gesprächen, ja, sie vertrauen mir Dinge an, die sie nicht jedem erzählen – und manchmal sind es sogar Dinge, die sie noch nie jemand anderem erzählt haben. Und unter diesen Geschichten, die mir anvertraut werden, ist einiges aus der Abteilung „Verwandtschaft“. Einiges, zu dem die Überschrift passt „Wenn man solche Verwandte hat, braucht man keine Feinde mehr“. Dann erfährt man – natürlich immer nur aus Sicht der einen Seite – warum Geschwister seit 20, 30, 40 Jahren tief zerstritten sind, warum das Tischtuch zwischen Eltern und Kind durchtrennt ist, warum Menschen, die sich mal heftig geliebt haben, sich nun Gift geben könnten. Doch noch nie habe ich bei einem Gespräch geklatscht und gesagt: „Wunderbar, weiter so, fleißig weiter hassen und bekämpfen, weil genau das ist der Wille Jesu, denn der hat ja gesagt: [36 Die eigenen Angehörigen werden zu Feinden!].
Es ist die Spannung, die sich hier aufgebaut hat, also aufzulösen. Das möchte ich jetzt, im zweiten Teil, versuchen. Was wir hier vor uns haben, ist kein Beispieltext für den gottgewollten Umgang in Familien und mit Verwandten. Hier steht am Ende nicht wie bei der Erzählung vom barmherzigen Samariter der Satz: „Geh hin und tue das Gleiche!“ Jesus geht es um etwas ganz Anderes. Der zweitletzte Vers führt uns auf die richtige Spur: 38 Und wer nicht bereit ist, sein Kreuz auf sich zu nehmen und mir nachzufolgen, der kann nicht zu mir gehören. Es geht Jesus hier um die Art, wie wir unser Christsein verstehen, wie wir es leben und gewichten. Und sein Anspruch ist, dass unser Christsein umfassend – ja total – sein soll – und insbesondere, dass es im Konfliktfall!!! nicht gegenüber familiären Rücksichten hinten runter fallen darf Ein Christsein, das wir – eine andere schlechte Option – nicht nachher beim Rausgehen aus der Kirche wieder ablegen. Oder das wir morgen früh, am Beginn der Alltags- Arbeitswoche und beim Verlassen des Hauses fein säuberlich weglegen. Jesus hasst jede Form von Softchristentum, das von allem ein bisschen aber von nichts wirklich viel zu bieten hat. Jesus hasst ein weichgespültes Christentum, das zum Beispiel alle seine spitzigen und fordernden, alle seine schroff und maximal zumutenden Sätze erstmal schnell und heftig relativiert. Wo er z. B. fordert: „Liebet eure Feinde…“ oder beim Gebet: „…wie wir vergeben unseren Schuldigern“ – da setzt Jesus sofort ein Dislike, wenn Menschen mit weichgespültem Christseinsstatus stereotyp kommen und das sofort einschränken… Ja aber… so ganz wörtlich kann das ja nicht gemeint sein… wenn dann Ausnahmen definiert werden und am Ende alles weichgespült, harmlos, belanglos, bedeutungslos geworden ist. Christsein ist an manchen Stellen und gerade in ethischer Hinsicht ein radikales Unterfangen. Natürlich geht es sehr um Liebe und Barmherzigkeit, um Milde und Güte… Aber das heißt noch lange nicht, dass wir sofort und insbesondere wenn es anstrengend und mühsam werden würde, wenn wir dringend Kompetenzen in der Disziplin „Über den eigenen Schatten springen“ entwickeln müssten, dass wir dann alles Radikale schreddern dürfen. Christsein ist nicht – nicht nur – wie Betreutes Wohnen, immer warm und gemütlich, immer behütet und umsorgt. Christsein ist manchmal auch wie ein Rucksack Trip durch den Dschungel, wo jeder Schritt eine mega Herausforderung sein kann – und oft auch ist. Apropos Dschungel. Der Dschungel erinnert mich an Wald. Gerne auch den Oberöwisheimer oder Kraichtaler Wald. Vorhin habe ich die Gespräche erwähnt, die ich vielfach von Berufs wegen führen darf. Bei diesen Gesprächen bekomme ich auch immer wieder zu hören, weil die Menschen natürlich wissen, dass ich sie von den Gottesdiensten am Sonntagmorgen nicht kennen kann: Ach wissen Sie, wenn ich sonntags durch den Wald laufe, dann fühle ich mich meinem Gott so unendlich nah, das ist doch auch ein Gottesdienst – das ist mir der liebste Gottesdienst. Manchmal kommt dann noch eine Spitze gegen tatsächliche Gottesdienstbesucher und Gottesdienstbesucherinnen, unter denen angeblich viele fragwürdige Gestalten und falsche Fuffziger sind. Man muss sich halt irgendwie rechtfertigen. Der Punkt, warum ich das erwähne ist, dass dies ein sehr schönes Beispiel für weichgespültes Softchristentum – für im wahrsten Sinn Schönwetterchristentum ist. Ich möchte, kann und darf niemandem sein Christsein absprechen, Gott bewahre… Aber die Menschen, die mir das erzählen, die sind ja auch nur bei gutem Wetter in ihrem geliebten Wald. Bei Orkan und Wolkenbruch sind sie dort eher nicht anzutreffen. Das Christsein in seiner ganzen Weite und Konsequenz lässt sich nur erleben und erkennen in der Gemeinschaft mit anderen, im Gottesdienst, im Hören und Nachdenken über das, was Jesus fordert und wozu er herausfordert – gerade zum Beispiel auch in so einem Textabschnitt wie heute – und natürlich kann das dann auch im Wald – im Waldgottesdienst sein. Waldgottesdienste oder Pilgergottesdienste, wie zuletzt, sind sehr eindrucksvoll. Aber ganz allein im Wald Gottesdienst feiern, ohne Gemeinschaft und ganz privatissimo und das ausschließlich und immer – das ist wie als einziger auf der Fläche Box Auto / Autoscooter fahren. Das macht keinen Spaß. Das kann es nicht sein. Das ist schlicht ein Irrtum. Amen.