Wenn HNO Ärztinnen und Ärzte – und nicht nur sie – zu Auslaufmodellen werden…
Predigt über Markus 7, 31-37 von Pfarrer Klaus Vogel am 12. Sonntag Trinitatis, 22. August 2021, gehalten in der Evangelischen Kreuzkirche zu Kraichtal-Unteröwisheim sowie in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenz-/Hybridgottesdienst
Predigt über Markus 7, 31-37
Kanzelgruß
31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte.
32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege.
33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge
34 und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Heffata!, das heißt: Tu dich auf!
35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig.
36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus.
37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in Bahnbrücken und möchten mit ein paar Leuten nach Unteröwisheim – wandern. Dann meldet sich einer aus der Gruppe und schlägt vor, dass man doch am besten über Landshausen laufen sollte. Von einem Ortskundigen ein rätselhafter Vorschlag. Ein Vorschlag, der einen enormen Umweg bedeutet. Ähnlich verhält es sich in unserem Text: Jesus zieht von Tyros über Sidon ins Gebiet südöstlich des Sees Genezareth. Tyros und Sidon liegen beide an der Mittelmeerküste – Sidon über 30 Kilometer nördlich von Tyros. Über 30 Kilometer erst mal in die fast ganz falsche Richtung. Auch das ist rätselhaft. Natürlich könnte es sein, dass Jesus noch vorher aus irgendwelchen Gründen nach Sidon wollte, wer weiß das schon? Erwähnt wird es aber nicht. Es ist rätselhaft. Das Gebiet der 10 Städte erscheint als Reiseziel. Das Ziel ist nicht rätselhaft, aber doch äußerst bemerkenswert und besonders.
Das Gebiet der zehn Städte (griechisch: Dekapolis) gilt in den Evangelien als Inbegriff des nicht-jüdischen Heidentums: Hier hütete man Schweine (Matthäus 8, 28), die nicht nur aus Hygiene-Gründen als Fleischlieferanten, sondern auch als Opfertiere für den Kult des griechischen Zeus für Juden total inakzeptabel waren. Die Bewohner der städtischen Gemeinden, der Dekapolis, bezeichneten sich selbst als „Griechen“. Mit anderen Worten: Jesus verlässt den jüdischen Kultur- und Religionskreis. Er geht nach draußen, in die Fremde, ins Ausland. Er geht dorthin, wo der Wind rau ins Gesicht bläst, wo er sofort in Konkurrenz zu namhaften und etablierten einheimischen Religionen tritt. Jesus geht nicht in die Kuschelecke, sondern dahin, wo es auch wehtun kann. Er entscheidet sich anstatt für das bequeme Heimspiel fürs schwierigere Auswärtsspiel.
Das bedeutet für die Kirche, dass sie nicht Binnenkirche sein kann, auf sich selbst bezogen, mit sich selbst und der eigenen Nabelschau beschäftigt. Wir (einschließlich der römischen Katholiken) sind ja schon lange nicht mehr Volkskirche. Vor einiger Zeit hat Oliver Welke in der „heute Show“ damit kokettiert, dass die Gruppe der Atheisten (zu denen er sich selber zählt) inzwischen die größte Bevölkerungsgruppe darstellt. Zum Seelentrost wird auch gerne das Argument bemüht, dass in Deutschland sonntags mehr Menschen einen christlichen Gottesdienst besuchen als in allen Stadien des Landes zusammen ein Fußballspiel anschauen. Diese Zahlen beziehen sich auf die Vor-Corona Zeit. In beiden Fällen sind das aber in Bezug auf die Gesamtbevölkerung sehr kleine Zahlen.
Unser Kirchenbezirk wird trotz allen Zwängen zum Sparen eine halbe Stelle für Öffentlichkeitsarbeit einrichten. Auch wird er ein Angebot von Kraichgau TV nutzen und ähnlich dem Format „Wort zum Sonntag“ in diesem Regionalfernsehen ein wöchentlich wechselndes geistliches Wort anbieten. Die Kirche muss auf jeden Fall hinaus aus ihren bergenden Kirchenmauern. Corona hat sie zwar ein Stück weit dazu gezwungen – aber nach Corona muss es dabei bleiben. Die Botschaft, die uns befreit und erlöst, die uns das Himmelreich und Ende aller Krankheiten Nöte und Qualen verspricht, diese Botschaft dürfen wir anderen, die sie nicht auf dem Schirm und nicht im Kalkül haben, nicht vorenthalten. Die Botschaft und der Glaube, die uns so gut tun, von denen wir leben und zehren, die uns Kraft und Hoffnung, Zuversicht und Gelassenheit geben, die sind für die ganze Welt bestimmt, die sollen durch keine Grenzen aufgehalten werden. Wir sind sie der Welt schuldig.
Schauen wir jetzt wieder auf Jesus. Dem Evangelisten Markus ist übrigens völlig egal, wo genau, in welcher konkreten Stadt diese Begebenheit, dieses Wunder stattgefunden hat. Er will nur dieses Setting betonen: Es war da draußen bei den religions- und kulturmäßig Fremden, es war außerhalb und in der Fremde. Jesus hat Grenzen überschritten. Er hat die Message vom Gott Abrahams, über den alle Völker gesegnet sein sollen universalisiert, globalisiert und realisiert – er hat sie hinausgetragen. Jesus hat die umstürzende Verheißung, die Abraham erhalten hat, aufgegriffen: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ (Gen 12, 3) Darum ist er in das Gebiet der 10 Städte gegangen. Das Evangelium lässt sich von keinem Schlagbaum aufhalten. Zu dem Taubstummen, auf den er dort irgendwo trifft sagt Jesus: „(H)effata!“. Das bedeutet „Sei, werde aufgetan!“ „Öffne dich!“ Dieses (H)effata ist eines der ganz wenigen aramäischen Wörter im NT. Das NT ist ja in altgriechischer Sprache geschrieben. Aramäisch ist hingegen die Sprache, die Jesus gesprochen hat. Wenn nun plötzlich im Altgriechischen ein aramäisches Wort auftaucht (Talita kum, Maranata, Eli eli lama asabthani), dann hat das natürlich nichts mit Schlampigkeit des Autors zu tun, sondern es sind immer Worte, denen wir besondere Aufmerksamkeit schenken sollten. Worte, die nahe legen, dass sie unmittelbar auf Jesus zurück zu führen sind. Worte, die aus seinem Mund stammen. „(H)effata“ – „Sei, werde aufgetan!“ „Öffne dich!“ Für die Kirche heißt das: Öffne dich für die Gesellschaft, melde dich in dieser Gesellschaft, in der du so sehr an den Rand geraten bist, zu Wort. Tu Gutes und rede darüber und dann tu weiter Gutes. Die Rheinische und die Pfälzische Landeskirche waren im Rahmen der Flutkatastrophe ja sehr rührig und aktiv. Was ich aber vermisst habe, war z. B. eine bundesweite Kollekte innerhalb der ganzen EKD. „(H)effata“ – Öffne dich, wende dich zu, gib richtig rein. Die Kirche muss den bereits angefangenen Weg mutig und entschlossen weitergehen.
Auch zu uns, zu Ihnen, zu Dir zu mir sagt Jesus: „(H)effata“ – Öffne dich! Öffne dich für Gottes Wohltaten und Segen, für Gottes Schutz und Zuwendung, öffne dich für den Weg mit ihm und zu ihm, den Weg, der ein Ziel – aber kein Ende hat. Öffne dich, lass fließen und geschehen, was Gott schenkt. „Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.“ (V 37).
Das ist der letzte Satz in der heutigen Wundererzählung. „Sie wunderten sich…“ heißt es da. Die, die sich hier wundern, das sind, wie geschildert, irgendwelche Griechen aus dem Gebiet der 10 Städte – und diese Leute, die jedenfalls nicht beheimatet sind im jüdischen Glauben, die resümieren hier: „Er hat alles wohl gemacht, die Tauben hören und die Sprachlosen reden.“ Obwohl Jesus nur einen geheilt hat, sprechen sie in der Mehrzahl. Denn hier bei diesem Fazit geht es nicht mehr um diesen einen, einzelnen. Hier geht es um das große Ganze, das ganz Große. Hier geht es um die Feststellung, dass mit Jesus und durch Jesus in Erfüllung gegangen ist, was die alten Propheten angekündigt haben. Wir haben hier eine klare Anspielung auf Jesaja 35, 5, wo es heißt: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.“ Darum genau geht es hier: Mit Jesus ist die Prophezeiung des Jesaja in Erfüllung gegangen, der in seinem 35. Kapitel uns einmalig schöne Verse und unsagbar tröstende und mutmachende Verse schenkt. Ich zitiere zum Schluss nur wenige davon:
1 Freuen wird sich die Wüste, und das dürre Land wird jubeln. Die Steppe wird fröhlich singen und aufblühen wie ein Meer von Narzissen.
2 In voller Blüte steht sie da und singt und jubelt vor Freude. Schön wie der Wald im Libanon soll sie werden, prächtig wie der Berg Karmel und fruchtbar wie die Scharon-Ebene. Dann wird jeder die Herrlichkeit und Pracht des HERRN, unseres Gottes, sehen.
3 Stärkt die kraftlosen Hände! Lasst die zitternden Knie wieder fest werden!
4 Sagt denen, die sich fürchten: »Fasst neuen Mut! Habt keine Angst mehr, denn euer Gott ist bei euch! Jetzt wird er euren Feinden alles Unrecht vergelten, das sie euch angetan haben. Gott selbst kommt, um euch zu retten.«
5 Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, und die Tauben können auf einmal hören. Amen.