Immer schön den Ball flach halten
Predigt über Epheser 2, 4-10 von Pfarrer Klaus Vogel am 11. Sonntag Trinitatis, 15. August 2021, gehalten in der Evangelischen Martinskirche zu Kraichtal-Münzesheim sowie in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim im Präsenz-/Hybridgottesdienst
Predigt über Epheser 2, 4-10
Kanzelgruß
4 Aber Gottes Barmherzigkeit ist groß. Wegen unserer Sünden waren wir in Gottes Augen tot.
5 Doch er hat uns so sehr geliebt, dass er uns mit Christus neues Leben schenkte. Denkt immer daran: Diese Rettung verdankt ihr allein der Gnade Gottes.
6 Er hat uns mit Christus vom Tod auferweckt, und durch die Verbindung mit Christus haben wir schon jetzt unseren Platz in der himmlischen Welt erhalten.
7 So will Gott in seiner Liebe, die er uns in Jesus Christus erwiesen hat, für alle Zeiten die überwältigende Größe seiner Gnade zeigen.
8 Denn nur durch seine unverdiente Güte seid ihr vom Tod gerettet worden. Das ist geschehen, weil ihr an Jesus Christus glaubt. Es ist ein Geschenk Gottes und nicht euer eigenes Werk.
9 Durch eigene Leistungen kann ein Mensch nichts dazu beitragen Deshalb kann sich niemand etwas auf seine guten Taten einbilden.
10 Was wir jetzt sind, ist allein Gottes Werk. Er hat uns durch Jesus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun. Damit erfüllen wir nun, was Gott schon im Voraus für uns vorbereitet hat.
Kanzelgebet
Liebe Gemeinde,
vermutlich könnte ich jetzt nahezu alle von Ihnen in Verlegenheit bringen. Stellen Sie sich vor, ich würde in diesem Moment mit einem Funkmikrofon hier in der Kirche herumlaufen und Sie direkt fragen: Was hast du / was haben Sie denn da gerade gehört? Was schreibt der Mensch da genau an dieser Stelle in seinem Brief an die Epheser. Worum geht es? Wenn Sie schlagfertig wären, dann könnten Sie antworten: Es geht um Sünde, Jesus, Barmherzigkeit, Gott, Güte, Gnade… Damit würden Sie auf keinen Fall falsch liegen – damit liegt man eigentlich fast nie falsch. Aber was heißt das alles konkret und genau? Da wird es dann bedeutend schwieriger. Ein Text, bei dem man auch als Prediger/-in nach dem ersten Lesen – und nach dem zweiten Lesen meist immer noch – ahnungs- und ideenlos dasitzt und grübelt: Was steht da nun? Was soll das werden – und wie? Wie lässt sich diese Kirchensprache, die nur aus theologisch theoretischen, aus abstrakten Begrifflichkeiten besteht, übersetzen, verständlich machen und im besten Fall in den Alltag übertragen?
Das letzte schriftliche Zeugnis von Martin Luther hat er einen Tag vor seinem Tod geschrieben und die letzten Worte dieses Zettels heißen: „Wir sind Bettler. Hoc est verum (Das ist wahr).“ Ja, das ist Einsicht eines Lebens und die Einsicht vor dem Sterben. Arme Menschen sind wir. Eigene Leistung können wir nicht wirklich vorweisen. Was Gutes geworden ist, das war Geschenk. So sieht Luther auf sein Leben und sein Werk, das ja unendlich reich war. Wie viel hat er geschrieben! Wie viel umgewälzt, angestoßen, reformiert und ganz neu durchdacht? Wie viel hat er begonnen und wie vielem eine unumkehrbare Richtung gegeben? Viele Hunderte von Kilometern ist er dazu durch Deutschland gelaufen, geritten und gefahren. Und doch zieht er am Ende diese Bilanz: Wir sind Bettler. Das ist wahr.
Noch fast mitten im Hochsommer und weit weg von Buß- und Reformationstagen machen die Verse aus dem Epheserbrief eine Bestandsaufnahme unserer Existenz. Falls jemand Gott so gar nicht auf dem Zettel hat, dann hat dies alles keine Bedeutung für ihn oder sie. Ich schätze mal, dass solche Menschen aber auch kaum jetzt hier sitzen und auch nicht zu Hause am Bildschirm. Die anderen alle, also auch uns, erinnern diese Verse daran, dass wir, dass unser Leben und unsere Existenz auf einem Bildschirm abgebildet sind. Auf dem Bildschirm von Gottes Radar. Vor Gott und in der Summe brauchen wir uns auf unsere Lebensbilanz nichts einbilden. Diese Bilanz ist mau und mager, dünn und dürr, peinlich und prekär. Geradezu tot seien wir, so ist der Anfangsbefund im ersten Vers. Mir fällt dabei eine Szene aus dem Film „Pippi (Pippi Langstrumpf) außer Rand und Band“ ein. Da steht auf einem Bauernhof ein schrecklicher Schrotthaufen, ein alter, total abgewrackter ehemaliger PKW. Pippi bekommt das Teil vom Bauern geschenkt, setzt sich mit ihren Freunden Annika und Tommy rein und fährt los, unter Pippis magischen Händen fahren die rostigen Blechteile tatsächlich – und nach ein paar Metern fängt „das Auto“ sogar an zu fliegen. Das, liebe Gemeinde, ist es, was Gott mit unserer mageren, miesen Lebensbilanz, die weit im Minus ist, macht. Gott schenkt uns Leben und Zukunft bei sich. Uns, die wir uns das nicht verdient haben, die nichts dafür können und die wir uns das so wenig vorstellen können wie der Gelähmte den Muskelkater. Als Christen „haben wir schon jetzt unseren Platz in der himmlischen Welt“ – so steht das hier schwarz auf weiß. Den Platz schon haben, meinen Platz sicher wissen und garantiert haben… Wir kennen das wohl alle: Bei der einen Zugfahrt haben wir eine Fahrkarte ohne Platzreservierung. Da muss man bei den ersten sein, die einsteigen, Gerangel, Gedränge, Geschiebe. Und andererseits eine Fahrkarte mit Platzreservierung: Gelassen, locker, gechillt bleiben, kein Stress… Man muss nur einsteigen, bevor der Zug losfährt. Das ist alles. Dann gehe ich gemächlich an den Platz, der auf dieser Fahrt nur für mich da ist, der ganz allein mir gehört, setzte mich und genieße den Blick aus dem Fenster und manches mehr. Was für ein riesiger, gewaltiger Unterschied. Den Platz im Himmel haben wir schon sicher in der Tasche, unseren Platz dort haben wir als Christen unumstößlich und unverlierbar – auch und gerade weil wir hier nach Martin Luther Bettler sind, weil wir es annehmen, dass wir selbst nichts drauf haben, Gott nichts zu bieten haben – und weil wir uns von Gott einfach nur beschenken lassen. Die Frage, die sich stellt, ist, was danach tun mit dem Rest des Lebens? Auf den Tod warten? Fromme Sprüche klopfen und herumschwallen? Jeden Tag ein Freudenfest über den reservierten Platz im Himmel feiern? Die Antwort finden wir auch im Text: „Er (Gott) hat uns durch Jesus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun.“ Ich möchte dazu eine Geschichte ans Ende stellen, die ich am vergangenen Dienstag zum ersten Mal gehört habe. Am diesem Dienstag der vergangenen Woche, vor 5 Tagen also, hatten wir den 10. August und der 10. August ist der Tag des Heiligen Laurentius. Am 10. August des Jahres 258 n. Chr. ist er in Rom als Märtyrer gestorben. Der Grund: Er hat etwas Gutes – etwas sehr Gutes getan. Allerdings zeigt seine Geschichte auch, dass wer Gutes tut, nicht immer von allen Seiten nur Applaus bekommt. Laurentius musste vor 1763 Jahren sein Gutestun mit dem Leben bezahlen. Vorausschicken möchte ich noch, dass es eine fromme Legende ist. Eine Begebenheit, die so gewesen sein könnte und bei der aber kein einziges Detail nach heutigen Maßstäben beweisbar ist. Also: Laurentius war fromm und klug und kam von Spanien in die Gemeinde in Rom. Noch war das Christentum im Römischen Reich nicht Staatsreligion (da haben noch ein paar Jahrzehnte gefehlt) und entsprechend wurden Christen mal mehr mal weniger verfolgt. Der Kaiser, Valerian, hatte es auf das sicherlich sehr überschaubare Vermögen der Kirche abgesehen. Am 7. August 258 ließ er den Bischof von Rom, Sixtus II, durch Enthauptung ermorden. Dann wandte er sich an Laurentius und verlangte von ihm unter Folter und Auspeitschung die Herausgabe des ganzen Reichtums der Kirche.
Er sagte zu Laurentius: „Die Schätze von den anderen Göttern habe ich mir schon geholt. Jetzt kommt dein Gott dran. Geh und bring mir die Schätze von deinem Gott. Morgen lieferst du mir alles ab, und wenn ich merke, dass du mich betrogen hast, dann lasse ich dich umbringen!“ Da bat Laurentius den Kaiser: „Ich bitte um drei Tage Frist, damit ich alle Schätze aufsuchen kann“. Schick mir in drei Tagen 12 Pferdewagen, damit ich darauf dann alle Schätze der Kirche deponieren kann. Der Kaiser war zufrieden. Daraufhin verteilte Laurentius Geld und Wertsachen der Kirche an die Mitglieder der Gemeinde. Schließlich versammelte er nach drei Tagen alle Armen, Kranken und Krüppel, Witwen und Waisen, Lahme, Taube und Stumme. Er setzte sie auf die Pferdewagen, die inzwischen vorgefahren waren. Am Ende waren diese alle brechend voll und fuhren los Richtung Kaiserpalast. Dort angekommen war der ganze Platz voll. Ein Meer von Not, Krankheit und Elend. Schließlich ging Laurentius in den Palast hinein zum Kaiser und sagte: „Komm heraus und schau dir die Schätze der Kirche, die Schätze unseres Gottes an.“ Der Kaiser stand von seinem Thron auf und ging hinter Laurentius her. Als er aber mit ihm draußen stand und all die jämmerlichen kranken, zerlumpten Menschen da drunten auf dem Platz stehen und kauern sah, da fragte erwütend: „Was soll das heißen?“ Laurentius aber sagte, und machte mit seinem Arm einen großen Bogen: „Das sind die Schätze unseres Gottes. Andere Schätze hat er nicht.“ Da wurde der Kaiser noch zorniger. Er rief nach seinen Soldaten und ließ Laurentius binden. „Du hast mich verspottet; das sollst du mir grausam büßen!“ rief er. Er ließ ihm die Kleider vom Leib reißen, auspeitschen und dann auf einem großen eisernen Rost anbinden. Schließlich wurde ein gewaltiges Feuer entfacht und der Rost mit Laurentius daraufgelegt.
Seine letzten Worte soll Laurentius an den Kaiser gerichtet haben: „Du armer Mensch, mir ist dieses Feuer Kühlung, dir aber bringt es ewige Pein.“
Liebe Geschwister, „Er (Gott) hat uns durch Jesus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun.“
Durch das Tun des Guten werden wir nicht immer und automatisch zu everybodys darling. Im Auftrag und im Sinn Gottes das Gute tun kann brutal polarisieren und zwischen erbitterte Fronten geraten lassen. Wenn beispielsweise die EKD eine Schiffsmission im Mittelmeer zur Rettung Schiffbrüchiger unterstützt, dann gibt das heftigen Applaus von der einen Seite und wütende Kritik mit jeder Menge Kirchenaustritten auf der anderen Seite. Das gilt z. B. auch für die gleichgeschlechtliche Ehe und für den geschlechterbewussten Sprachgebrauch, also das Gendern.
Was das Gute ist, kann niemand absolut und unerschütterlich feststellen. Für die einen ist es das Gute und für die anderen das völlig Falsche. Das Tun des Guten darf nicht im Blick auf die Außenwirkung geschehen. Das Tun des Guten hat allein aus meiner tiefsten inneren Überzeugung heraus zu erfolgen. Ich muss wissen / mir sicher sein, was das Gute ist – und es dann möglichst tun, denn „Er (Gott) hat uns durch Jesus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun.“ Amen.