Im uniSonO Trennung überwu(i)nden
Predigt zum Badischen Unionsjubiläum 1821 – 2021 von Pfarrer Klaus Vogel am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 31. Januar 2021, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim / ONLINE
Liebe Gemeinde,
es geschah am helllichten Tag. Genauer am 26. Juli 1821. In der Residenzstadt Karlsruhe verabschiedete die kirchliche/evangelische Generalsynode feierlich die Unionsurkunde. Aus zwei protestantischen Kirchen im Großherzogtum Baden war eine geworden. Das Großherzogtum war zum damaligen Zeitpunkt erst seit 15 Jahren ein solches. Es war in Folge der napoleonischen Koalitionskriege durch Zusammenschluss kleinerer Gebiete entstanden. In der napoleonischen Zeit und den Jahren danach waren in vieler Hinsicht Dinge (weit mehr als heute) im Umbruch: politisch, kulturell, territorial. Es war eine Zeit von Zusammenschlüssen, von bewusster und gewollter Vereinheitlichung. Die protestantische Linie der Markgrafen zu Baden-Durlach kam an die Spitze des Großherzogtums und stellte die badischen Großherzöge – obgleich 2/3 der Menschen im neu geschaffenen Staat römisch-katholisch waren und nur 1/3 protestantisch. Bei den Protestanten war kompliziert, dass, 20% von ihnen calvinistisch waren, also aus der Reformation des Johannes (Jean) Calvin hervorgingen und 80% Lutheraner. Vielfach gab es in den Dörfern sowohl eine lutherische als auch eine reformierte Kirchengemeinde mit je eigener Kirche. So z. B. in Heidelsheim, wo ich wohne. Mit der Union wurde dort ein Gebäude überflüssig. In Heidelsheim war es die kleinere Kirche der Lutheraner. Sie wurde zum Wohnhaus und steht bis zum heutigen Tage und als Wohnhaus genutzt in der Luthergasse am Lutherplatz mitten im alten Ortskern. Die ganze Geschichte – unsere badische Geschichte – ist ziemlich kompliziert, aber auch hochgradig spannend. Wenn Sie Lust bekommen haben, dieser Geschichte nachzuspüren, dann tun Sie es ruhig und tauchen darin ein. Z.B. mit Wikipedia ist das relativ einfach und schnell möglich. Jedenfalls entstand im Juli 1821 die evangelische Kirche, die heute den Namen Evangelische Landeskirche in Baden trägt. Im Epheserbrief finden wir besonders prägnant und einschlägig, besonders dicht und nachdrücklich formuliert, wie entscheidend unter Christinnen und Christen die Einheit, die Verbundenheit, und das Verständnis füreinander sind:
Der Apostel schreibt dort (Eph 4): 3 Setzt alles daran, dass die Einheit, wie sie der Geist Gottes schenkt, bestehen bleibt. Sein Friede verbindet euch miteinander. 4 Gott hat uns in seine Gemeinde berufen. Darum sind wir ein Leib, und es ist ein Geist, der in uns wirkt. Uns erfüllt ein und dieselbe Hoffnung. 5 Wir haben einen Herrn, einen Glauben und eine Taufe. 6 Und wir haben einen Gott. Er ist unser Vater, der über allen steht, der durch alle und in allen wirkt.
Ich zitiere nun den Anfang der Unionsurkunde von vor 200 Jahrten:
„Gleich hochherzig und gleich begeistert für die Wahrheit, wie sie der Welt im Evangelium offenbar geworden, trennten sich nichtsdestoweniger unsre frommen Vorfahren in einer Hauptlehre derselben. So entstanden die evangelisch – lutherische und die evangelisch – reformierte Kirche. Jede von beiden hielt an ihrer Lehre fest, verteidigte sie und bestritt die ihr gegenüber befindliche; in jeder gewann allmählich der Ritus, die Verfassung und die innere Einrichtung der Kirche eine eigentümliche Gestaltung. So erhielt sich die Trennung durch drei Jahrhunderte hindurch, doch umschlang beide selbst in dieser Trennung ein Band, der Glaube an Jesus Christus und an seine ewige den Menschen mit Gott versöhnende Liebe; und ein Geist war es, der beide belebte, der Geist freier Forschung in der unversiegbaren Quelle dieses Glaubens, in der heiligen Schrift. Und eben in diesem gemeinsamen Glauben und Geiste war von Anfang und blieb die Möglichkeit, aus der Trennung heraus zu Vereinigung und Einheit zu gelangen.“ (Zitat Ende)
Es war ja tatsächlich (nur) ein einziger allerdings kolossaler Differenzpunkt, der die Lutheraner und die Reformierten trennte: Das Abendmahl. Das Verständnis vom Abendmahl. Komplett einig war man sich in der Ablehnung der katholischen Vorstellung, nach der Brot und Wein in Leib und Blut Christi substanziell verwandelt werden. „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“ könnte man bei dem katholischen Konzept sagen: Du siehst Brot – aber es ist kein Brot (mehr), es ist tatsächlich, echt und in jeglicher Hinsicht Christi Leib, der nur wie Brot aussieht.
Wie aber verstehen wir Protestanten den Satz Jesu, als er sagte: „Das ist mein Leib – das ist mein Blut“? Der reformierte Ansatz war, den Satz allein symbolisch und rein zeichenhaft zu verstehen. Der lutherische Ansatz war, sich vorzustellen, dass Brot und Wein von Gottes Geist durchsetzt sind. Ich esse beim Abendmahl also Brot, trinke Wein und nehme dabei und damit – alles entscheidend und verändernd – Christus in mich auf. Lutheraner und Reformierte waren (natürlich) jeweils vollständig überzeugt, die richtige, echte, die wahre Auslegung der Aussage Jesu gefunden zu haben. Sie waren ja beide – so gleich im ersten Satz der Unionsurkunde – beide gleichermaßen begeistert für die Wahrheit, für das Evangelium des Neuen Testaments. Diese Begeisterung motivierte sie dazu, wie es in der Urkunde heißt: ihr Verständnis ihre Auslegung zu verteidigen, zu schützen, zu bewahren, den Nachfolgenden weiterzugeben und nicht preiszugeben. Aber – und das finde ich wirklich bemerkenswert, beide haben ihre Anschauung, ihre Auslegung trotz aller Überzeugung nicht absolut gesetzt. Absolut gesetzt haben sie dagegen das, was darübersteht, das Verbindende: Es „…umschlang beide selbst in dieser Trennung ein Band, der Glaube an Jesus Christus und an seine ewige, den Menschen mit Gott versöhnende Liebe.“ Das war der eingebaute Revisionsfaktor, die eingebaute und im Innersten gewünschte Möglichkeit, die Trennung zu überwinden, was dann 300 Jahre nach der Reformation und dem Beginn des Protestantismus gelungen ist. 1821 jedenfalls in Baden war es so. Das war damals ein Megaereignis, eine gewaltige Veränderung, ein riesiger Einschnitt ins Selbstverständnis unserer protestantischen Vorfahren. Meine Mutter z.B., die 1933 geboren war, die wusste noch, dass die Ahnen ihrer Mutter reformiert waren und die ihres Vaters lutherisch. Heutzutage wissen Kinder nur noch mit Mühe, ob sie evangelisch oder katholisch sind, – wenn sie denn überhaupt einer Kirche angehören.
Unsere heutige Zeit, diese Monate sind seit fast einem Jahr geprägt von dem Virus, das eine Pandemie ausgelöst hat. Ein Virus, das bei den meisten Menschen, die infiziert sind/waren, Geschmacks- und Geruchssinn angegriffen und zeitweise ausgeschaltet – die Wahrnehmungsfähigkeit also genommen hat. Schon viele Jahre länger wütet bei uns im übertragenen Sinn ein „Virus“, das den Sinn für Gott, für den Glauben und am allermeisten für die Kirche vernebelt oder ausschaltet. Die Suche nach einem „Impfstoff“ dauert schon arg lang – die Erfolge sind überschaubar – da sind keine „Brüller“ dabei. Glaubenskurse, Medienpräsenz, pädagogische Offensiven und ein über ein ganzes Jahrzehnt gefeiertes Reformationsjubiläum wurden kirchlicherseits als „Impfstoffe“ / Medikamente entdeckt. Die Wirksamkeit ist/war bescheiden. Wie erwähnt, keines der „Medikamente“ / der Impfstoffe hat sich als der große Knaller, als „game changer“ herausgestellt. Kann unser badisches Reformationsjubiläum ein Impfstoff – oder jedenfalls ein wirksames Medikament sein? Warum nicht? Es darf dann aber nicht bloß ein mehr oder weniger ehrfürchtiges Zurückschauen auf die 200jährige Geschichte unserer Landeskirche sein. Der Blick muss viel mehr auch auf die Gegenwart und in die Zukunft gehen. uniSonO – so heißt das Motto des Kirchenjubiläums. Ein tolles Wort und phantastisches Motto, das man da gefunden hat. uniSonO ist ein italienischer Begriff und entstammt der Musik. Wörtlich übersetzt heißt er „im Einklang, einstimmig“. Der Begriff bezeichnet das Verfahren, alle Beteiligten eines Klangkörpers gemeinsam dieselbe Melodie singen bzw. spielen zu lassen, auch in verschiedenen Oktaven.
Der erzielte Effekt besteht in starker Durchschlagskraft bei gleichzeitig großer Klangentfaltung.
Verschiedene Stimmen und verschiedene Instrumente – sie bleiben verschieden und sie bleiben, was sie sind – sie spielen aber gemeinsam dieselbe Melodie mit dem Ergebnis starker Durchschlagskraft und großer Klangentfaltung. Das ist – jedenfalls für mich – ein bärenstarkes Bild: uniSonO. Ein Bild, das auf unsere Vorfahren zutrifft, die die Kirchenunion gestemmt haben. Aber auch ein Bild für uns, für die Kirche, für heute – und für morgen. Wir haben die beste Botschaft der Welt. Wir haben das Evangelium. Wir können den Menschen um uns herum ein unausschlagbares Angebot machen, mit Worten und Taten ein Angebot für und von Gott machen, ein Angebot, das es sonst nicht gibt. Das Angebot, das heißt: Gott ist auf deiner Seite – schon immer und für immer. Ein Angebot für das es das uniSonO Spiel seiner Gemeinde braucht. Wie heißt das nochmal im Brief an die Epheser?: „Darum sind wir ein Leib, und es ist ein Geist, der in uns wirkt. Uns erfüllt ein und dieselbe Hoffnung. 5 Wir haben einen Herrn, einen Glauben und eine Taufe. 6 Und wir haben einen Gott. Er ist unser Vater, der über allen steht, der durch alle und in allen wirkt.“ Amen.