Weihnachtspredigt – „Vom Waterloo unserer Sorgen“
Predigt über Jesaja 52, 7-10 von Pfarrer Klaus Vogel am 1. Christtag, 25. Dezember 2020, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim / ONLINE
Die frohe Botschaft, Jesaja 52, 7-10
7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König!
8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander; denn sie werden’s mit ihren Augen sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.
9 Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
„Das Waterloo unserer Sorgen“
Liebe Gemeinde,
haben Sie in Ihrer Wohnung ein Fenster, von dem aus Sie etwas weiter in die Ferne schauen können? Stellen Sie sich (wir uns) für einen Augenblick vor, Sie würden an genau diesem Fenster stehen, es wäre heller Tag und Sie würden weit weg jemanden auf Sie
zukommen sehen. Haben Sie es? Sehen Sie den Freudenboten? Es könnte natürlich auch eine Freudenbotin sein. Welche Freudenbotschaft, welche Mitteilung, welche Info müsste der Freudenbote dabei haben, damit dies ein Tag wird, an dem Sie zu Recht ein Kreuz in den Kalender machen? Damit ist klar, es geht nicht um solche Dinge wie die Einladung zu einer Prowin-, Tupper- oder Thermomixparty. Eine Nachricht, die Sie beim ersten Hören gar nicht glauben können, eine Nachricht bei dem Sie dem Boten – trotz Corona um den Hals fallen wollen, eine Nachricht, von der Sie nicht mehr geglaubt hätten, dass Sie sie überhaupt noch erleben. Eine Nachricht von der Sorte, wie man sie vielleicht nur einmal im Leben erlebt. Die Nachricht vom geknackten Jackpot, vom Impfstoff, der das Virus sofort kaputt schlägt, vom neuen Medikamemt gegen die unheilbare Krankheit, von der Rücknahme der Kündigung, vom Ende eines jahrelangen Zerwürfnisses… Ich glaube ja, dass Kinder es beim Thema Freudenbote meist etwas einfacher haben. Als ich am Samstag vor dem 1. Advent nachmittags im Vorgarten eine Lichterkette an einem Tannenbaum montiert habe, da habe ich gesehen, wie der Paketzusteller vor einem der Nachbarhäuser hält. Er musste zweimal laufen und stellte schließlich mindestens 10 Pakete vor der Haustür ab. Auch die Kinder kamen und es wurde kurz laut, denn es war ganz offenkundig der Freudenbote gekommen. Der Weihnachtsgeschenkelieferant, der Wünscheerfüller und Freudenlieferant. Geschenke an Weihnachten sind eine geniale Erfindung und ihre Kernbedeutung ist, dass sie Gottes Geschenk an uns versinnbildlichen. An Weihnachten sind wir Menschen passiv. Weihnachten geschieht an uns und mit uns. Gottes Sohn wird der Welt geschenkt. Die Hirten in der Nähe von Bethlehem haben wahrscheinlich geschlafen oder gedöst und dann sind sie regelrecht überrollt worden vom aufbrechenden Himmel und den singenden Engelscharen. In der Reaktion sind sie dann natürlich schon aktiv geworden – aber erst dann – erst danach. Weihnachten ist im Ursprung und am Ausgangspunkt ein geschenktes Geschehen ganz außerhalb von unserem Aktionsradius, außerhalb von unseren Möglichkeiten. Völlig im Falschen Filmfühlte ich mich darum vor Wochen, wo im Vorfeld des zweiten Lockdown ab dem 2. November aus Politikermündern der Satz zu hören war: „Wir wollen Weihnachten retten!“ – Ich weiß natürlich schon, was die damit gemeint haben, aber der Ausspruch ist einfach mindestens grenzwertig, weil wir am Weihnachtsgeschehen völlig passiv sind, weil an Weihnachten der göttliche Retter zu uns kommt – ganz egal ob wir alleine zu Hause sitzen oder zu zehnt oder – außerhalb der Pandemie – zu zwanzigst. Ob wir Butterbrot essen oder unseren Gaumen mit Gänsefleisch kitzeln, ob wir roten Fusel aus dem Pappkarton für 50 Cent der Liter trinken oder den 2011er Château Mouton Rothschild Pauillac 1er Grand Cru Classé, für 632, 64 € die 0,75 l Flasche. Das mag für Gaumen, Magen, Kopf nicht egal sein – für Weihnachten spielt es eine so große Rolle wie ein angezündetes Streichholz in der eiskalten Wohnung. Die Advents- und Vorweihnachtszeit ist ja für Menschen wie mich, die an Weihnachten etwas zu sagen haben, oft ein El Dorado. Vor fast 10 Jahren war es der reißerische Spruch: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden!“ Wenn man sich heute Predigten von damals anschaut, dann wird praktisch überall darauf Bezug genommen. Das war ein Geschenk der Werbemacher an meine Zunft. In diesem Jahr ist mir ein Satz aus der Radiowerbung aufgefallen, den ich allerdings nur ein einziges Mal gehört habe. Es war die Werbung ebenfalls einer Baumarktkette für ökologisch angebaute Weihnachtsbäume. Der Slogan dabei war: ‘Weihnachten ist, was ihr draus macht!“ – Auch gut – oder? „Weihnachten ist, was ihr draus macht!“ Das liegt auf der gleichen Linie wie die Politikerparole vom Weihnachten retten Weihnachten ist, was ihr draus macht. Das ist einfach nur die menschliche Hybris: Hochmut, Überheblichkeit, Vermessenheit. Weihnachten ist, was ihr draus macht. Da kommt das Wort „machen“ ja auch direkt vor. Weihnachten als Objekt für Macher und Malocher.
Was wir aber, liebe Gemeinde, aus Weihnachten gemacht haben, ist ein dem Kommerz und Konsum ergebener kollektiver Jahresendtaumel. Dieses Jahr war es weniger so – den Politikern gelang die angekündigte Weihnachtsrettung ja nicht – aber – ich könnte wetten – 2021 wird es munter weiter gehen. Dieses Jahr aber bietet die ungeheure, unerwartete und unverhoffte Gelegenheit zu einem stilleren, schon oft, meist phrasenhaft gewünschten, besinnlichen Weihnachtsfest. Worauf an Weihnachten besinnen? Der Prophet, von dem das heutige Bibelwort stammt, der sog. 2. Jesaja gibt uns, wie ich finde, eine gute Nachhilfe. Viel redet er von Freude und Jubel, von Heil, von Klasse Nachrichten und erlösend schönen und guten Veränderungen und Aussichten. Wellness für unsere Seelen, Waterloo für unsere Sorgen. Am Ende, so richtet Jesaja uns aus, wird alles gut. Am Ende, so heißt es in unserem Glaubensbekenntnis, wird Vergebung der Sünden sein und Auferstehung der Toten und das ewige Leben. In einem Facebook Chat, bei dem ich auch etwas mitgemischt habe, war am vergangenen Wochenende zu lesen: „Wenn es Gott gäbe dann gäbe es nicht so viel Not und Elend!!!!!“ Das kann man öfter hören und das kann man durchaus so sehen. – Aber geleitet von Jesaja verändert sich die Sicht doch komplett und es muss heißen und gilt für Menschen, die glauben und ahnen, dass Gott kein Hirngespinst ist: Weil es Gott gibt, werden am Ende nicht Not und Elend, Kummer und Sorgen, Zerwürfnis und Zerstrittenheit, Trümmer und Traumata übrig bleiben. Nein, sie werden am Ende eliminiert und pulverisiert sein. Nicht mehr relevant, nicht mehr existent, nicht mehr im Orbit. Jesaja hat es Jahrhunderte vor Jesu Geburt angekündigt: 7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König! In Bethlehem ist der Friedensbringer, der Heilsbringer, der Lebensbringer dann auf die Welt gekommen. Auf die Welt gekommen als lebende und lebendige Hoffnung – die große Hoffnung, die uns niemand mehr nehmen kann. Amen.