Vom Herrn, der kommt, wenn die Herren der Erde gegangen (EG 153)
Predigt über Sacharja 9, 9+10 von Pfarrer Klaus Vogel am 1. Advent, 29. November 2020, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim
Der neue König kommt!
9 »Freut euch, ihr Menschen auf dem Berg Zion, jubelt laut, ihr Einwohner von Jerusalem! Seht, euer König kommt zu euch! Er ist gerecht und bringt euch Rettung[3 – oder: „und trägt den Sieg davon“]. Und doch kommt er nicht stolz daher, sondern reitet auf einem Esel, ja, auf dem Fohlen einer Eselin.
10 In Jerusalem und im ganzen Land[4] beseitige ich, der Herr, die Streitwagen, die Schlachtrosse und alle Waffen. Euer König stiftet Frieden unter den Völkern, seine Macht reicht von einem Meer zum anderen, vom Euphrat bis zum Ende der Erde.«
Sacharja 9, 9+10
Liebe Gemeinde,
das neue Kirchenjahr, die letzten Wochen des Jahres, beginnen, wie die vorausgehenden gewesen sind: es wird immer noch dunkler, die Nächte werden immer noch länger, die Beschränkungen gehen immer noch weiter und länger, die Existenznöte sehr vieler Menschen werden immer noch größer, die Toten immer noch mehr und die Infizierten nicht weniger. Selten war diese Zeit derart nah an ihrem eigentlichen christlichen und liturgischen Sinn wie in diesem Jahr. Advent heißt Ankunft – Warten auf die Ankunft. Es ist die und wir befinden uns in der Zeit des vielfachen Wartens. Wir warten auf den Impfstoff und das Ende der Pandemie. Wir warten bis wir wieder unbeschwert wegfahren, feiern, besuchen können, Geburtstage und Hochzeiten veranstalten können oder nach einer Beisetzung noch zusammensitzen. Wir warten bis wir wieder in Kirchen, Kinos und Kneipen nah nebeneinandersitzen, singen, uns umarmen können, die Masken fallen lassen, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Sicherlich warten wir auch auf Dinge, auf die wir auch ohne COVID-19 warten würden: eine Aussöhnung, ein Ende von Streit und Sprachlosigkeit, Heilung an Lieb und/oder an Seele. Ein neuer Anfang oder ein guter Ausgang… Wir warten auch bis der Regierungs-Alptraum in den USA endgültig vorbei ist. Selten – zumindest nicht seit dem 2. Weltkrieg haben weltweit so viele Menschen so sehr auf ziemlich das Gleiche gewartet, es erwartet, Änderungen erhofft, wie in diesem Jahr. Vom Neuen, das kommt, kündet auch der Beginn des neuen Kirchenjahrs, der Advent. Es ist sein Ur-Thema. Es sagt uns: So wie es ist, bleibt es nicht. Es ändert sich, es wendet sich, es wandelt sich zum Guten, weil Gott es will. Nicht mal das Amen in der Kirche ist so sicher, wie dass Gott die Welt erhält, dass Christus gekommen ist und kommen wird. Eine Gewissheit, die zu großen Teilen unseren Glauben ausmacht und trägt. Darum fällt der heutige Text am 1. Advent auch regelrecht mit der Tür ins Haus: Freut euch, jubelt laut, begeistert euch, Ekstase erlaubt. Wären wir in Amerika, könnte dies Auslöser für hemmungsloses, uferloses Hüpfen, Springen, Tanzen, Singen – natürlich im Gottesdienst sein…(Blues Brothers, Sister Act… lassen grüßen). In unserer Kultur kommt das so nicht vor – wohl aber die Klarheit der Ansage und die Unmissverständlichkeit der Botschaft. Wir haben ein kleines, unscheinbares Lied im Gesangbuch, Nr. 153. Es ist so klein und unscheinbar wie der Esel, mit dem der Friedenskönig gegen alles Erwarten einreitet. Ein kleines Lied mit riesenhaftem Text, der von dem herrlich sprachbegabten Schweizer Theologen Kurt Marti stammt:
- Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt, wenn einst Himmel und Erde vergehen.
- Der Himmel, der kommt, das ist der kommende Herr, wenn die Herren der Erde gegangen.
- Der Himmel, der kommt, das ist die Welt ohne Leid, wo Gewalttat und Elend besiegt wird.
- Der Himmel, der kommt, das ist die fröhliche Stadt, und der Gott mit dem Antlitz des Menschen.
Der Himmel, der kommt, unser König, der kommt, hat keine Machtinsignien nötig, keine Goldkronen im Mund und vor allem nicht auf dem Haupt, keine Statussymbole. Ein Eselchen genügt ihm. Bei diesem Thema – Einzug des Königs mit einem Esel – komme ich nicht daran vorbei, kritisch und missbilligend auf unseren Ministerpräsidenten zu verweisen. Er gehört ja den Grünen an, der Öko Partei also. Sie steht eigentlich weiß Gott nicht in der Gefahr und in Verdacht, Speerspitze der deutschen Nobelkarossen Lobby zu sein. Dennoch hat sich Herr Kretschmann vor einiger Zeit schon bei einer Rede zu dem Satz hinreißen lassen: „Der Ministerpräsident von Ba-Wü fährt einen Daimler – basta; Mercedes S-Klasse – ich kann doch keinen Fiat fahren…“ – Der angekündigte Friedenskönig – und wir denken dabei unwillkürlich an Jesus – der Friedenskönig hätte das sicher können – einen Fiat fahren – oder er wäre gleich gelaufen. Jedenfalls hat ihm ein Eselchen genügt für seinen Einzug. Er hält nicht Hof und vergibt ausgesuchten VIPs Audienzen – nein er kommt, er kommt zu uns. Ganz egal, wo wir sind, auf Wolke 7, in Dreckloch 5 oder in Fettnäpfchen 9. Er kommt zu uns und uns wird vor Glück Hören und Sehen vergehen.
Hören und Sehen werden jedoch auch den Machos und Rambos dieser Welt vergehen, den Ellbogenkönigen und Waffenfetischisten, den Haudegen und den alten Schlachtrössern, den Durchsetzern, Aufdentischklopfern und den Plattmachern…
Der Text besteht ja aus bloß zwei Versen. Zwei Verse, die so unterschiedlich wie Anfang und Ende eines Spektrums sind: Da der Friedenskönig, der bescheiden, einfach und unstandesgemäß auf einem Eselchen daherkommt – und dort der Herr über alle Herren, Regenten, Despoten und Machtbesessenen. Auf dem Esel einreitend verbannt er die Schlachtrösser, Streitwagen und Waffen und alle, die darauf so unendlich stolz sind. Bei dieser Aufzählung musste ich beim Schreiben der Predigt spontan an Flugzeugträger denken. Sie sind im militärischen Bereich ein gewaltiges Statussymbol. Selbst Thailand, Indien und Italien besitzen jeweils einen. Was für ein Unsinn. Wofür brauchen die das? Das ist – zumindest bei diesen Ländern – so unnötig wie der Friseurbesuch des Glatzköpfigen. Diese Dinge sind jetzt schon unsinnig und haben erst recht keine Zukunft.
Was aber sind auf uns, den einzelnen und die einzelne bezogen die Schlachtrösser, Streitwagen und Waffen, von denen der Text redet? Das sie Verbindende ist ja, dass man hofft, mit ihnen Auseinandersetzungen zu gewinnen, sich durchzusetzen, am Ende als Sieger dazustehen. Was sind unsere „Waffen“ die wir einsetzen, um uns durchzusetzen, um andere hinter uns zu lassen? Spitzzüngigkeit? Intriganz? Ignoranz? Liebes- und Aufmerksamkeitsentzug? Verleumdung? Denunziation? Sind das und ähnliches unsere Streitwagen, Schlachtrösser und Waffen, wenn es Stress gibt, wenn uns einige und einiges auf den Senkel gehen? Es wären jedenfalls die ganz falschen. Die Adventsbotschaft des Propheten Sacharja lässt daran nicht den kleinsten Zweifel. Der König, der kommt, wenn die Könige dieser Welt gehen und gegangen sein werden, wird ein globales Friedensreich errichten und erhalten. Die Waffenkammern seines Reiches werden bestückt sein mit Liebe und Gottvertrauen, mit Nächstenliebe, ja sogar mit Feindesliebe, mit Glaube und Güte, mit Vergebungsbereitschaft und Barmherzigkeit. Die Jahreslosung für das nächste Jahr greift das letzte übrigens auf: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist (Lk 6, 36). Selig sind alle, die zu diesen Waffen greifen. Amen.