Im Auftrag des Herrn unterwegs
Predigt von Pfarrer Klaus Vogel am 9. August 2020, 9. Sonntag nach Trinitatis, gehalten in der Evangelischen St. Martin Kirche zu Kraichtal-Münzesheim sowie in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim
Kanzelgruß
Text Jeremia 1, 4-10
4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Kanzelgebet („Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.“)
Liebe Gemeinde,
wir befinden uns im Jahr 626 v. Chr. Geburt. In ganz Juda sind traurige Figuren als Kleriker, König oder Politiker in ihren Ämtern: schwach, verblendet, vermessen, überheblich, gottlos. – In ganz Juda?
Nein! Ein einzelner junger Mann, von Gott bereits im Mutterleib als geistig-religiöse Speerspitze und einsamer Einzelkämpfer auserkoren, hört nicht auf, der Verblendung verbal Widerstand zu leisten. Das Leben ist durch ihn nicht leicht für die selbstverliebten und selbstzufriedenen Priester im Jerusalemer Tempel, die des Königs Marionetten sind und es ist auch nicht leicht für den überheblichen, verblendeten, sich selbst maßlos überschätzenden König von Juda, der sein Land blindlings auf Katastrophenkurs steuert. So ähnlich könnte eine Einleitung im Stil einer sehr bekannten Comic Serie lauten.
Wir befinden uns jedenfalls am Anfang des Jeremia Buchs in der Bibel, altes Testament. Jeremia ist einer der ganz großen namhaften Propheten. In den drei Versen vor unserem Text werden lediglich die vier Könige aufgezählt – übrigens einer unfähiger und ungeeigneter als der andere – vier Könige, die Jeremia in seiner über 40jährigen aktiven Zeit alle auf den Zettel bekam.
Seine Berufung, die der Text schildert, hätte übrigens – das ist Ihnen sicher aufgefallen – gegen jedes Corona Schutzkonzept heftigst verstoßen. „9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an…“ – …und dann sagt er zu ihm: „Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“ Der Pfarrer in meinem Heimatort als ich Kind war, der so lange dort gewirkt hat wie Jeremia in Juda, nämlich über 40 Jahre, der sprach Sonntag für Sonntag dies als Kanzelgebet: „Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.“ Das war eine Anlehnung an Jeremias Berufung: Du wirst etwas – nein du wirst Großes zu sagen haben und das ist von mir, Gott, autorisiert und sogar formuliert. Jeremia bewirbt sich übrigens nicht für den Job. Nicht im Entferntesten hätte er daran gedacht, von sich aus aktiv zu werden und sich für diese Aufgabe in Position zu bringen. In Bewerbungen müssen ja Superlative und Loblieder dominieren und breiteste Hin- und Nachweise von Qualifikationen und Zertifizierungen, die einen Personalchef fast dazu zwingen, einen zu nehmen. Jeremia ist da aber viel zu ehrlich: Ich tauge nicht zu predigen und Reden zu halten… ich hab das nicht drauf und bin auch viel zu jung dafür… Ich glaube, liebe Gemeinde, dass genau dieses Jeremias Eignung ausmacht: seine Ehrlichkeit, seine Bescheidenheit. „Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.“ (V 6) – dies ist übrigens der eine und einzige Satz, den Jeremia hier spricht. Der Rest ist Gottes Rede. Jeremia bringt ein zögerliches, bescheidenes „Ich bin“ (Ich bin zu jung…) heraus und Gott sagt, nein wischt das in einem Nu weg und sagt: „Du wirst“… Gott macht aus Jeremias „Ich bin“ ein machtvolles „Du wirst“. Also: Die Gegenwart interessiert kein Borstenvieh – aber die Zukunft, die ist so gewaltig und so anders, dass du dir (also Jeremia sich) das nicht vorstellen kannst. Du wirst… sagt Gott. Kein Konditional, keine Einschränkung, kein relativierendes Nebensätzchen, sondern einfach nur: „Du wirst…!“ Wenn ich eine dieser unzähligen, unseligen Werbemails bekomme, in deren Betreff steht: „Sie haben gewonnen…!“ – dann ist das irreführender Humbug und das krasse Gegenteil von „Du wirst“. Wenn ich aber (vorausgesetzt ich habe gespielt) mir die Ziehung der Lottozahlen im TV anschaue und meine Zahlen werden nacheinander gezogen, dann ist das safe, dann ist mein Gewinn todsicher, dann ist das „Du wirst!“ – Du wirst eine riesige Euroüberweisung auf dein Konto bekommen. Klare, feste, sichere Aussicht!
Sehr bemerkenswert finde ich, dass Gott betont: Dein Auftrag kommt ganz allein von mir. Wohin du gehst und was du sagst, bestimme ich. Dieser Auftrag ist kein Wattepusten. Mit diesem Auftrag machst du dir keine Freunde. Dieser Auftrag führt dich immer wieder komplett an deine Grenzen. Aber: Fürchte dich nicht vor wem und was auch immer, vor nichts und niemand; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Ein Vers, der die hundertprozentige Eignung zum Konfirmandenspruch hat, macht Jeremia deutlich, dass Gottes Schutz und Hilfe gesetzt sind und Bestand haben, sozusagen mit einer Flatrate versehen sind. Also: Fürchte dich nicht.
Sie haben ja sicher alle die Katastrophe mit dem DAX Konzern Wirecard mitbekommen. Da haben u.a. zwei Journalisten der Financial Times recherchiert und knapp eineinhalb Jahre vor dem Zusammenbruch im Wesentlichen die Vorwürfe erhoben, die sich nun im Juni bewahrheitet haben. Aber damals glaubte das keiner. Sie wurden mit Klagen und Drohungen überzogen, dass es nur so knallte. Ihre Zeitung war ein David gegenüber dem Riesen Wirecard. Sie fürchteten sich aber nicht, sie ließen sich nicht ins Boxhorn jagen. Sie sind jetzt die Helden und alle überheblichen Gegner sind plötzlich ganz kleinlaut geworden. Diese beiden Journalisten waren vermutlich von keinem göttlichen „Fürchtet euch nicht!“ flankiert und sind dennoch aufrecht, unerschrocken und mutig geblieben. An uns aber ist demgegenüber und ganz klar dieser Zuspruch gerichtet: „Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR“. Gott ist mit uns, weil nicht nur Jeremia, sondern auch wir im Auftrag des Herrn unterwegs sind (Folie 10 zeigen). Wir sind das nicht nur, wenn wir im Posaunenchor spielen, den Gemeindebrief austragen, bei der Atempause, dem Besuchsdienst, dem Gemeindenachmittag mitmachen… wir sind das völlig entgrenzt, zu Hause, auf der Arbeit, im Verein, in der Nachbarschaft… immer und überall sind wir im Auftrag des Herrn unterwegs, dass wir seinen Willen einfordern, wo es schiefläuft, z.B. in Sachen Schöpfungsfürsorge, Klima, exzessiver Konsum, sozialer Gerechtigkeit… und wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs, wo es in unserem kleinen Dorf, in unserer Straße, Nachbarschaft und Familie darum geht, seine Güte, Hilfsbereitschaft und Menschfreundlichkeit zu leben und weiterzugeben. Falls Sie letzten Sonntag da waren, erinnern Sie sich noch an den Satz Jesu aus der Bergpredigt? „Ihr seid das Licht der Welt, so lasst euer Licht leuchten unter den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“. Das ist und bleibt der Auftrag. An Jeremia und an uns. Heute und alle Tage – und immer mit Gottes kräftigem Segen. AMEN.
Glasfenster von Valentin Peter Feuerstein in der Ev. Mauritiuskirche in Oberöwisheim
Foto: Klaus Hiller