Philadelphia – weit mehr als nur Käse…
Predigt von Pfarrer Klaus Vogel am 26. Juli 2020, 7. Sonntag nach Trinitatis, gehalten in der Evangelischen Mauritiuskirche zu Kraichtal-Oberöwisheim
Hebräer 13, 1-3:
1 Hört nicht auf, einander als Brüder und Schwestern zu lieben. 2 Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben, denn auf diese Weise haben einige, ohne es zu wissen, Engel bei sich aufgenommen. 3 Denkt an die Gefangenen, als ob ihr selbst mit ihnen im Gefängnis wärt! Denkt an die Misshandelten, als ob ihr die Misshandlungen am eigenen Leib spüren würdet! [Gute Nachricht]
Liebe Gemeinde,
Philadelphia ist im griechischen Text das erste Wort des heutigen kurzen Abschnitts. Bei diesem Wort kann man auch (muss man vielleicht unwillkürlich) an eine US-amerikanische Millionenstadt im Bundesstaat Pennsylvania denken, die den gleichen Namen trägt – und vielleicht sogar noch eher an eine sehr etablierte – übrigens ebenfalls amerikanische – Frischkäsemarke – Philadelphia. Das ist die Marke, bei der es so sehr gefährlich ist, wenn zu nah an der Packung Löffel herumliegen, denn die Naschgefahr kann – je nach Geschmacksrichtung – gigantisch sein. Der Frischkäse, den es seit 140 Jahren (!) gibt, ist nach der Stadt benannt, weil damals in Amerika Philadelphia die absolut dominierende Käsehochburg war. Produziert wurde der Frischkäse nämlich gar nicht dort! Die Stadt aber wurde so genannt, weil ihr Gründer, der Quäker William Penn, damit ganz gezielt den biblischen Bezug dauerhaft herstellen wollte. Ihm schwebte vor, dass alle Bewohner der Stadt sich idealerweise und für alle Zeiten an diesem biblischen Begriff orientieren würden: Philadelphia. Dass sie einander respektieren, achten, unterstützen, trösten, aufhelfen, ermutigen, motivieren, dass sie sich kümmern und für einander engagieren. Philadelphia heißt nämlich schlicht und wörtlich übersetzt Bruderliebe. Philos der Freund (Philosophie – Freund der Weisheit) und Adelphos der Bruder. Natürlich liegt man richtig, wenn man aus dem Bruder ‚Bruder und Schwester’ macht. „Hört nicht auf, einander als Brüder und Schwestern zu lieben“. Das hat die Übersetzung der „Guten Nachricht“, die ich deshalb heute zugrunde gelegt habe, sehr richtig gemacht. Und etwas Anderes hat sie auch gegenüber den meisten anderen Übersetzungen richtig gemacht: „Hört nicht auf…“ – das ist nach allem, was ich herausgefunden habe – zutreffender als „Bleibt fest (in der Liebe)“ – wie das die meisten anderen Übersetzungen bieten. Bleibt fest in der Liebe zu anderen Christen/Gemeindemitgliedern klingt danach, all diese sozusagen zu jedem Zeitpunkt zu besten Freunden zu machen. „Hört nicht auf, andere Christen zu lieben, erscheint mir lebensnäher. Hört nicht auf… heißt: Brecht über keinen den Stab, schließt mental oder physisch keinen und keine aus. Natürlich sind unsere Beziehungen untereinander als Christinnen und Christen nicht krisenfest. Nicht immer und nicht in alle Richtungen ist stets alles im grünen Bereich. Wer kennt das nicht? Das Bibelwort setzt nun den Impuls: „Hört dann aber nicht auf. Lasst keine/-n fallen. Lasst die gegenseitige Liebe, Achtung, Wertschätzung auf keinen Fall untergehen, kaputt gehen, vor die Hunde gehen. Wenn beim Auto ein Zylinder ausfällt fährt man normalerweise auch noch weiter. Nicht mehr bis Paris aber zu einem nahen Ziel. Wenn beim Flugzeug ein Triebwerk ausfällt, dann kann/sollte der Pilot noch weiterfliegen und muss nicht sofort eine Notlandung einleiten. Also: Hört nicht auf, eure Mitchristen, eure Geschwister im Herrn zu lieben. Dieser erste Satz/Vers im Text ist das größere Thema des kleinen Abschnitts, der uns heute vorgegeben ist und zu dem die beiden anderen Verse Ausführungen sind.
Der erste Gedanke, der von der Geschwisterliebe abgeleitet wird, ist Gastfreundschaft: „Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben, denn auf diese Weise haben einige, ohne es zu wissen, Engel bei sich aufgenommen.“ Philoxenia steht da im Griechischen. Ich sage das nicht, weil ich mich heute hier besonders als Griechisch Experte aufspielen will, der ich auch überhaupt nicht bin. Der Grund ist, dass hier wieder Philos auftaucht. Philos – der Freund oder eben freundlich – wie auch bei der Geschwisterliebe – Philadelphia. Freund, freundlich, Freundlichkeit. Christinnen und Christen sind oder sollen sein: freundliche Menschen – auch aber nicht nur gastfreundliche Menschen. Der Text ist an die christliche Gemeinschaft, die christliche Gemeinde gerichtet, ein Insidertext mit Empfehlungen für den Umgang mit Insidern. Es mag für manche/-n, die/der vielleicht heute über den Text zu reden hat, eine Versuchung sein, hier sofort, undifferenziert und völlig allgemein auf Fremdenfreundlichkeit, Flüchtlingsaufnahme und Willkommenskultur zu sprechen zu kommen. Es steht hier aber immerhin auch nicht, dass man die, die nicht zur christlichen Gemeinde gehören gastfeindlich behandeln soll. Das wäre ja ganz und gar unchristlich. Christlich aber ist eine bevorzugende Gastfreundlichkeit gegenüber den Glaubensgeschwistern. Dazu ein Beispiel: Vor ein oder zwei Jahren bekam ich einen Anruf von einem befreundeten Diakon. Eine Bekannte von ihm war auf einer Art Pilgerweg und suchte in unserer Gegend eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich rief eine Frau aus unserer Gemeinde an (sie ist heute auch unter uns) und fragte sie, ob sie in ein paar Tagen einen Übernachtungsgast bei sich aufnehmen würde. Völlig spontan sagte sie zu. Die beiden hatten (und haben noch, wie ich gerade erfahrne habe) einen wundervollen Austausch und eine bereichernde Begegnung. Die Frau aus unserer Gemeinde würde sich sicher nicht geweigert haben und nicht weigern, jemanden in ihr Haus aufzunehmen, der/die es nicht mit dem christlichen Glauben hat… aber selbstverständlicher, naheliegender und leichter ist es eben innerhalb dieser gemeinsamen Schnittmenge des christlichen Glaubens. Der Preis, der winkt, ist die leibhaftige, echte Engelbegegnung: „…denn auf diese Weise haben einige, ohne es zu wissen, Engel bei sich aufgenommen“. Das werden selten Engel mit Flügeln sein – vielmehr jedoch Menschen, die uns guttun, die uns Gutes tun, denen zu begegnen und sie zu kennen ein großes Glück ist. Menschen, die uns zu Engeln werden – und das auf jeden Fall auch mit der Umkehroption: Menschen, denen wir selbst auch zu Engeln werden.
Der Blick soll schließlich auf die gerichtet werden, denen wir nicht begegnen können, weil ihnen die Freiheit geraubt worden ist, die gefangen sind. Jesus mag in seiner großen Rede vom Weltgericht in Mt 25 eventuell an Gefangene ganz allgemein denken, wenn er sagt: „Ich war gefangen und ihr habt mich besucht“. Hier aber ist von denen die Rede, die wegen ihres christlichen Glaubens gefangen sind und gefoltert werden. Aktuell und aber auch bereits seit Jahren herrscht global die größte Christenverfolgung aller Zeiten. Nach aktuellen Schätzungen sind in den 50 Ländern mit der stärksten Christenverfolgung rund 260 Millionen Christen einem hohen bis extremen Maß an Verfolgung ausgesetzt, weil sie sich zu Jesus Christus bekennen. Seriöse Informationen dazu finden Sie auf www.opendoors.de (Folie 10). Wir können für sie beten – weniger sollte es nicht sein. Wir können uns – privat oder als Gemeinde – dem Thema aber auch ausdrücklich zuwenden.
Zwei Schlaglichter in unserem Text von sehr vielen möglichen zum Thema Geschwisterliebe: Gastfreundschaft und Kümmern um verfolgte Christen. Es gibt aber einiges mehr: Helfen, spenden, einladen – und alles in vielerlei konkreter Ausprägung.
Von dem amerikanischen Frischkäse (Folie 11) mit dem schönen Namen Philadelphia – Geschwisterliebe, den ich am Anfang erwähnt habe, gibt es 20 verschiedene Sorten: von Meerrettich über Lachs bis zu Milka Schokolade. Dieses Produkt, dem wir oft genug beim Einkaufen begegnen, kann uns gerade auch mit dieser seiner Vielfalt an die vornehme Christenpflicht der Geschwisterliebe erinnern und daran, wie vielfältig diese sein kann. Damit wir uns das besser merken können, können Sie sich am Ausgang eine Einzelportion Philadelphia mit nach Hause nehmen. Amen.