Weihnachtspredigt von Pfarrer Klaus Vogel bei der Christvesper am 24.12.2019 um 17:00 Uhr in der Evangelischen Mauritiuskirche in Oberöwisheim
„Oh du Günstige!“
Liebe weihnachtliche Gemeinde,
es ist ungefähr sechs Wochen her, als mir ein Plakat mit einem Slogan aufgefallen ist. Das Plakat war auf einer stattlichen Werbewand angebracht. Es ist von einem der ganz großen Discounter in Auftrag gegeben worden – genauer: von jenem, der sich nach Nord und Süd unterscheidet. Es dominieren nicht knallige Weihnachtsmotive wie Christbaum, Weihnachtsmann, Kugeln oder Kitschengel. Lediglich ein Eiskristallstern ist zu sehen. Es dominiert Text – und zwar genau drei Wörter, die wohl die Schritte der Weihnachten vorbereitenden Menschen energisch in Richtung genau dieses Discounters lenken sollen. Bestimmt haben Sie das Plakat auch gesehen. Womöglich ist es Ihnen auch aufgefallen – vielleicht aber auch gar nicht, was ebenfalls gut sein kann, denn es ist eigentlich nicht knallig. Das Plakat mit seinem Slogan soll an tieferen Bewusstseinsschichten andocken. Das Plakat soll unsere jahrzehntealte Grundüberzeugung bestätigen: Wenn du dort einkaufst, kommst du günstig weg, wirst zum Günstling der tollen, tiefen Preise. Darum steht auf dem Plakat auch nur groß drauf: „Oh du Günstige!“ Der weihnachtlich bunt gemischte Chor derer, die am Heiligen Abend „Oh du Fröhliche!“ schmettern, soll nicht nur aber auch an und vor Weihnachten nicht in andere Verkaufstempel pilgern, wo es sich etwa nur lohnen würde („Lümmel – lohnt sich… erst mal zu Jenny…“), sondern dem Himmel sei Dank, der die oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit zusammenbindet mit der oh du günstigen, schnäppchenschwangeren Shoppingzeit – so wird Weihnachten optimiert und direkt in den Discounter hinein nach vorne verlängert. Schon toll, was uns alles einfällt, was wir alles fertigbringen, schon krass, wie wir die schöne alte Weihnachtsbotschaft massakrieren, kastrieren, ruinieren, banalisieren und pulverisieren… ungefähr so finster – also ziemlich finster hat das Plakat vor Wochen meine Gedanken gemacht. – Bis ich so ganz nebenbei und einfach aus Neugierde mir das Wörtchen „günstig“ genauer angeschaut, es unter die Lupe genommen habe… „Oh du Günstige!“… – Günstig kommt nicht von Gott, aber es kommt von „Gunst“ und das Verb dazu ist „gönnen“. „Gunst“ – so sagen schlaue Bücher und Internetseiten, bedeute Wohlwollen, eine freundliche, gnädige Gesinnung. Und, liebe Gemeinde, Fakt ist – und das seit 2000 Jahren, dass Weihnachten das Fest der Gunst Gottes ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass den Werbemachern klar war, wie sehr sie mit „Oh du Günstige!“ der Weihnachtsbotschaft, dem, was heute gesagt werden muss – nein, gesagt werden darf, eine Steilvorlage liefern würden. Wir feiern heute und jedes Jahr an Weihnachten Gottes Gunst, Gottes Wohlwollen, Gottes grenzenlos gnädige und freundliche Zuwendung zu uns Menschen. Dass Gott uns nicht nur etwas, sondern ALLES gönnt. Gott ist unser großer Gönner. Weihnachten macht unsere ganze Existenz günstig und gut oder auch umgekehrt: gut & günstig, womit wir sogar noch kurz bei der Discounter-Konkurrenz vorbeischauen. Gott gönnt uns das Beste vom Besten. Zum Wortfeld Gunst, gönnen, günstig gehört auch das Wort Günstling. Es hat leider einen abwertenden Beiklang, indem vor allem die Fragwürdigkeit einer Bevorzugung betont wird. Jemandes Günstling zu sein bedeutet immer eine einseitige, fragwürdige, willkürliche Bevorzugung eines/einer Einzelnen gegenüber anderen und ebenso – vielleicht sogar viel mehr in Frage kommenden Menschen. Eine solch fragwürdig willkürliche Bevorzugung kann verwandtschaftlich motiviert sein, was man bei Herrn Trump schön studieren kann – das kann aber auch strategische Gründe haben, wie bei der ewigen Kanzlerin, die ja bekanntermaßen auch ihre ganz spezielle Günstlingin (auch an Weihnachten sollten wir zumindest versuchen, gendermäßig korrekt zu bleiben) hat, die sie recht einsam aber dafür ganz exklusiv als ihre Nachfolgerin sieht. Wahrscheinlich aber haben wir alle auch unsere Günstlinge und Günstlinginnen – mehr oder weniger viele, mehr oder weniger ausgeprägt. Gottes Gunst aber produziert keinerlei einzelne, willkürlich Begünstigte gegenüber anderen, die neben runter fallen, die eben Pech gehabt haben, für die es einfach nur dumm gelaufen ist. Weihnachten ist das Fest der großen, gehobenen, glänzenden, in Stein gemeißelten Gunst Gottes. Weihnachten ist die große Gunst der göttlichen Stunde. Jener Stunde, in der Jesus in Bethlehem geboren worden ist. Da hat Gott seine Menschengunst final geoutet. Seine Gunst, die allen Menschen und zu allen Zeiten gilt – die uns gilt: Dir und mir – Ihnen Euch, uns allen. So könnte man sagen: Alle Menschen sind durch Weihnachten Gottes Günstlinge geworden. Wenn wir den abwertenden Klang von Günstling vermeiden möchten, dann weichen wir inhaltlich richtiger und klanglich ohnehin schöner ins Französische aus: Günstling ohne negativen Beiklang heißt dort „Protegé“ – Schützling. Weihnachten sagt uns mit jedem Text und jedem Bild, mit jedem Lied, mit jeder Melodie, jedem Gedicht und jedem Geschenk, mit jeder Krippe und jeder Christbaumkugel, mit jeder Vesper und jedem Festgottesdienst, mit jeder Mette und jeder Andacht, dass wir Gottes Protegés sind. Dass Gott uns bis zum Abwinken protegiert. Ohne Unterschied. Wir sind seine VIPs, denen er ohne Ausnahme sein Vitamin B ausgeteilt hat selbstverständlich mit Lounge Zutritt. Als Gottes Protegés sitzen wir alle in der ersten Reihe – jedes Weihnachtsfest, das wir erleben und feiern, lässt uns das erneut wissen, dass wir im Blick auf unser Leben und unsere Zukunft durchatmen, dass wir fröhlich, dass wir gelassen und glücklich werden und genau so unsere Zeit verbringen können: Als Menschen, deren Fundament die Zuversicht ist, dass Gott ihnen gewogen und höchst günstig geneigt ist – und ebenso die Zuversicht, dass Gott uns mit Weihnachten ein Angebot von der Sorte macht, das man nicht ausschlagen kann. Ein Angebot an alle, das darum verbindet. Das erinnert an einen anderen Slogan, den ich in einem großen Warenhaus in Karlsruhe an vielen Stellen gelesen habe: „Weihnachten geht nur zusammen!“ Auch das ist richtig – für einen Werbespruch erstaunlich richtig – selbst wenn anschließend erläuternd dann nur von „backen, schmücken, wohlfühlen, genießen… die Rede ist. „Weihnachten geht nur zusammen“ – das ist ja ganz klar, weil Weihnachten das große Fest des Zusammenkommens, Zusammengehens und Zusammengehörens ist: Himmel und Erde, Gott und Mensch, Schöpfung und Schöpfer kommen zusammen. Darum kommen die Menschen überall zusammen: in die alte Heimat, zu den Kindern, den Eltern oder den Verwandten. Denn wo Gott und Mensch zusammenkommen – da kommen auch Mensch und Mensch zusammen. Heute tun wir und tun viele das sehr intensiv und ausgiebig. Vergessen wir aber nicht die, die es dabei nicht einfach haben oder denen es ganz unmöglich ist. Menschen in Gefängnissen, auf Intensiv- und Palliativstationen – Menschen ohne Angehörige. Weihnachten führt und fügt zusammen, will alle zusammen fügen – nicht nur in diesen drei Tagen – und Weihnachten hält zusammen, sollte zusammen halten… von Januar bis Dezember und wieder von vorne. Es ist ja so richtig: Weihnachten geht nur zusammen. Christliche Gemeinde übrigens auch. Die Zeit, dies zu erkennen – wieder einmal zu erkennen, ist gerade richtig günstig – und die Zeit, es im Herzen zu behalten erst recht. Amen.