Predigt von Pfarrer Klaus Vogel am 20.10.2019 (18. Sonntag nach Trinitatis) über Jakobus 2, 14-26
Von guten Werken, Gott und der Welt!
Liebe Gemeinde,
ein klasse Text ist das heute Morgen, finden sie nicht auch? Klare Kante, klare Sprache. Nicht verschwurbelt theologisierend, nicht hochtrabend kompliziert, keine kirchliche Binnensprache, keine schwindelerregenden philosophischen Gedanken. Das Kind wird klipp und klar beim Namen genannt. Es ist altbekannt, dass Martin Luther über den Jakobusbrief und darin speziell diesen Text, der uns heute vorgegeben ist, not amused war. Die stroherne Epistel hat er den Jakobusbrief genannt. Strohern, das bedeutet unbekömmlich und ungenießbar. Wenn Kindern etwas nicht schmeckt, dann kauen sie wie auf Stroh herum – Erwachsene übrigens gelegentlich auch. Stroh im Mund – das kriegt man nicht runter. So ging es Luther mit dem Jakobusbrief: er hat ihn und jedenfalls seine Spitzenaussagen einfach nicht hinuntergeschluckt bekommen. Zu gegensätzlich erschienen die Aussagen: Hier: Der Glaube ohne Werke ist tot – und bei Luther (bzw. dem Apostel Paulus): Der Mensch kann sich die guten Werke sonst wo hinstecken: Sie nützen ihm vor Gott überhaupt nichts. Wir müssen uns aber fragen, wo Ort und Sinn der guten Werke liegen. Luther wollte sie nicht abschaffen – auf keinen Fall. Gute Werke sah er als unverzichtbar an, als bestes Mittel gegen Chaos und Anarchie – aber eben nicht als Mittel, um Gott beeindrucken und unser Seelenheil sichern können. Ich möchte es mit einer Goldmünze aus dem Kaiserreich vergleichen, einer Goldmark. Wenn sie so etwas ihr eigen nennen können, eine Goldmünze aus dem deutschen Kaiserreich, dann können sie sich richtig glücklich schätzen. In jedem Fall ist so eine Münze über 300 € wert. Aber Sie können dafür nicht mal ein Brausestäbchen kaufen, weil die Münze kein Zahlungsmittel mehr ist. Eine Goldmünze aus dem Kaiserreich ist total viel wert und sie können an keiner Kasse dieser Welt damit bezahlen. Ein und derselbe Gegenstand kann gleichzeitig extrem wertvoll und völlig wertlos sein. So ist es mit den guten Werken: Unsere guten Taten sind für das Miteinander extrem wertvoll und für unser Seelenheil völlig wertlos.
Der Autor des Jakobusbriefs ist an der Stelle ein richtiger Ethikfreak und Ethikjünger“. Schauen wir uns das genauer an: An Christus glauben und nicht das Geringste davon (Nächstenliebe, Feindesliebe, Barmherzigkeit, Demut…) an Handlungen, Taten, Verhalten ablesen können – damit beginnt er – und das bringt doch auch uns heute auf die Palme. Wenn 2 Tage nachdem unsere Bundesregierung das Klimapaket (Einschränkungen – wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher…) beschlossen hat zwei Mitglieder derselben nahezu gleichzeitig mit 2 halbvollen Flugzeugen dieselbe Strecke über den Atlantik zurücklegt, dann sind wir zurecht fassungslos: Wasser predigen und Wein trinken – sagt die Redensart dazu. Wasser predigen und Wein trinken, das geht gar nicht. Es geht auch nicht, wenn ich von meinen Kindern einfordere, dass sie ihr Zimmer ordentlich halten und in meinem eigenen Zimmer braucht es einen Kompass durchs Chaos. Es geht ebenso wenig, wenn ein bekennender Kettenraucher und früherer Trainer von 1860 München Werbung für ein Nikotinpflaster und Nikotinkaugummi gemacht und im Hintergrund unvermindert weitergequarzt hat. Im weiteren Verlauf wird der Text konkreter. Da spricht er von Menschen, die in der christlichen Gemeinde in Not sind – oder denen es jedenfalls nicht so ganz blendend geht, wo im besten Fall immer alles gerade so mit Mühe reicht – kennen wir doch – und dann geht der Kühlschrank kaputt oder die Wohnung wird gekündigt. Wehe, wenn uns dann, in einer solchen Situation nichts anderes einfällt als fromme Sprüche zu klopfen und zu vertrösten: „Ich bete für euch, dass euch jemand oder gar Gott hilft“. Wehe, wenn wir dann plappern statt puschen, wehe, wenn wir dann kleckern statt klotzen. Wehe, wenn wir dann vertrösten. Das war ja schon ein Gedanke von Karl Marx, dass die Religion verzweifelte Menschen auf das Jenseits hin vertröstet, um das Diesseits nicht gerechter, fairer und sozialer machen zu müssen. Jakobus schlägt in die gleiche Kerbe: trösten und nicht vertrösten – und vor allem helfen, Not lindern und Brot geben, auf der Matte stehen und in die Tasche greifen. – Ein Glaube, der das tut, funktioniert richtig und ein Glaube, der nach Jakobus nicht in die Tat umgesetzt wird, ist oberfaul, ja er ist tot. Zu dieser Maximalaussage lässt sich Jakobus hinreißen. Und es ist ja eigentlich wirklich banal: Was bitte nützt ein Auto, das nicht fährt, oder ein Kühlschrank, der nicht kühlt, eine Uhr, die nicht geht oder. ein Kuli, der nicht schreibt? Sinnlos, nutzlos, wertlos!
Jakobus setzt sich anschließend mit einem Argument auseinander, das wohl damals gelegentlich zu hören war: Das Argument geht so: Man könnte ja splitten. Die christliche Existenz splitten sodass die einen glauben und die anderen Gutes tun. Die einen gehen also in Gottesdienst, Gebets- und Bibelkreis und die anderen streichen (zur Not auch gleichzeitig) die Wand im Gemeindehaus oder mähen den Pfarrhausrasen oder schneiden eine Hecke. Auch hier müssen wir wieder feststellen: Geht gar nicht! Glaube, Gottesdienst, geistliche Existenz sind nicht ersetzbar. Die Verbindung zu Gott würde fehlen. Das ist so wie wenn ich an meinem Fernseher den Stecker ziehe. Dann ist der Film nämlich sofort zu Ende. Wenn ich meine Verbindung zu Gott kappe oder nie gesucht und gefunden habe, dann ist ebenso Ende – bzw. mein Christsein hat nie angefangen. Nun haut Jakobus im direkten Anschluss allerdings einen Satz heraus, der zu den problematischsten im ganzen Neuen Testament gehört. Da versteigt sich der gute Jakobus doch tatsächlich zu der Parole: Meinen Glauben kann ich dir zeigen. Du brauchst dir nur anzusehen, was ich tue. – Das erinnert mich fatal an das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, wo der Pharisäer sich mit breiter Brust und breiten Beinen hinstellt und sich Gott als Musterjuden präsentiert, der sich ach so toll verhält, dass jeden Tag im Himmel Jubel ausbrechen müsste. Der Zöllner hingegen sagt schlicht und vor allem demütig den Satz: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Ich brauche ihnen nun sicher nicht zu erklären, welches Verhalten Jesus mit diesem Gleichnis verurteilt und welches er als vorbildlich hinstellt. So heißt es auch in Psalm 51, 19: „Ein Opfer, das Gott gefällt, ist tiefe Reue…“
Ich bin sofort bei und mit Jakobus, dass Gott sich überbordend freut, ja dass im Himmel heller Jubel ausbricht, wenn auf der Erde das Gute gemacht wird, wenn, um mit Albert Schweitzer zu sprechen, Leben erhalten gefördert verbessert wird. Das ist ganz klar. Aber kein einziger Mensch – deshalb haben wir evangelischerseits auch eine andere theologische Sicht beim Thema „Heilige (Menschen)“ als unsere katholischen Geschwister – kein einziger Mensch – auch nicht die Kirche kann zur Institution der guten Taten werden. Deshalb würde ich Jakobus gerne antworten: „Pass bloß auf, lieber Jakobus, dass ich bei dir nicht zu genau hinschaue und mir alles ansehe, was du schon getan hast. Wir haben doch alle unsere mehr oder weniger vielen, großen oder kleinen Leichen im Keller.“ Also sei bloß vorsichtig mit „Meinen Glauben kann ich dir zeigen. Du brauchst dir nur anzusehen, was ich tue.“
Wer wird sich denn anmaßen, über den Glauben eines anderen Menschen zu urteilen – und über seine Werke, die vielleicht gar nicht zu erkennen sind, weil er oder sie sie nicht öffentlich tut, (weil er oder sie) seine/ihre guten Werke nicht zu Markt trägt. Dazu ein Beispiel: Bei unseren Turmtreppenstufen gibt es sehr viele unter den SpenderInnenn, die freuen sich, dass ihre Namen auf der Stufe für wohl sehr lange Zeit zu sehen sein werden. Zu denen gehören (nebenbei bemerkt) meine Frau und ich auch. Aber es gibt auch einige, die wollen ausdrücklich nicht, dass ihr Name da öffentlich wird. Jemand hat der Sache komplett nicht getraut und völlig anonym 111,- € im Umschlag in den Pfarramtsbriefkasten geworfen. Damit will ich sagen, dass gute Werke nicht sichtbar sein müssen und selbst wenn bei jemandem weit und breit keine guten Taten erkennbar sind, sie eben dennoch im Verborgenen existieren und getan sein können. Manchmal kommen die guten Werke auch tatsächlich nicht zustande – doch da können auch schwere innere Konflikte vorausgegangen sein. Wer kann schon um die inneren Kämpfe eines Menschen wissen im Blick auf sein ethisches Verhalten? Wir kennen doch die zerknirschten Sätze des Apostels Paulus aus dem Römerbrief: Denn ich weiß nicht, was ich tue… ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich… Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Niemand kann wissen, welche inneren Kämpfe stattgefunden haben, bevor eine gute Tat getan oder eben auch nicht getan worden ist. Da greift der gute Jakobus einfach zu kurz. Eindeutig zu kurz greift auch dieser Flyer, den ich gestern zufällig in Unteröwisheim im Gemeindehaus entdeckt habe: Es ist ein Werbeflyer für die Fairtrade-zertifizierte und klimaneutrale Schokolade aus dem Weltladen. Da steht drauf: „Gut ist, wer Gutes tut“. Fast möchte man da noch drunter schreiben: Wort des Jakobus! Ich bin so froh, liebe Gemeinde, dass ich glauben kann, dass Gott ein unvorstellbar viel weiteres Herz hat, als wir mit unserem Kausal- und Konditionaldenken es für möglich halten.
Amen.
von Pfarrer Vogel