Predigt über Matthäus 16, 13-19 Oberöwisheim 9. Juni 2019
Liebe Gemeinde,
Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Liebe Gemeinde,
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag – also uns allen heute Morgen. Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Ihre Geburtsstunde. Und mit dem heutigen Predigttext wird deutlich, was der Kirche anvertraut ist.
Wir Christen haben eine wichtige Schlüsselfunktion in dieser Welt – wir können dem lieben Gott zur Hand gehen. Das legt uns dieser Predigttext ans Herz. Ein ganz normaler Mensch wie Petrus bekam damals einen wichtigen Schlüssel in die Hand gedrückt: Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Diese Zeilen gehören wohl zu den wirkmächtigsten Worten Jesu, die die Geschichte der Kirche in besonderer Weise beeinflusst haben. Auf sie gründet sich die Autorität des Papstes, der sich als Nachfolger des Petrus ansieht. Wenn man im Petersdom in Rom zur Kuppel hinaufschaut, dann zieht sich ein Kranz von Worten innen an der Kuppel entlang. Es ist zu lesen
TU ES PETRUS ET SUPER HANC PETRAM AEDIFICABO ECCLESIAM MEAM ET TIBI DABO CLAVES REGNI CAELORUM
Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen und ich gebe dir die Schlüssel des Himmelreiches.
Dieser Auftrag, dem Jesus dem Petrus gibt – wie hat er sich in der Geschichte der Kirche ausgewirkt? Nun die Geschichte von den Himmelsschlüsseln hat für mich mehrere Seiten, eine witzige, eine furchtbare, eine, die mich traurig macht und dann aber eine sehr verheißungsvolle.
Die witzige Seite.
Petrus werden hier von Jesus die Schlüssel des Himmelreichs übergeben. Ihm wird anvertraut: du kannst entscheiden, wer in den Himmel kommt und wer nicht. Aus diesem Auftrag sind die ganzen Petruswitze entstanden.
z.B. dieser: Ein Pfarrer und ein Pilot klopfen an die Himmelspforte. Petrus öffnet, bittet den Piloten herein und läßt den Pfarrer draußen. Der ist natürlich entrüstet und klopft erneut. Aber Petrus winkt ab: Das geht schon in Ordnung – Wenn du gepredigt hast, haben alle geschlafen; aber wenn er geflogen ist, haben alle gebetet.
Den Himmel aufschließen oder die Leute in die Hölle verbannen. Heute können wir über solche Witze schmunzeln.
Aber in der Geschichte der Kirche hatte diese Schlüsselfunktion auch eine furchtbare Seite.
Die Kirche nahm sich das Recht heraus zu entscheiden, wer gläubig ist und wer ungläubig. Wer auf die Seite Gottes gehört und wer auf die Seite des Teufels. Aus einer unglaublichen Machtposition heraus urteilte sie über andere. Der Petrus mit den Schlüsseln in der Hand – da denke ich an die Kirche in ihrer langen Geschichte, an Bullen und Bannflüche, an Ketzerverbrennungen und die Inquisition. Und das gab es nicht nur auf römisch-katholischer Seite, sondern auch bei den Lutherischen, die dem Todesurteil gegenüber den Täufern zustimmten oder bei dem Reformierten Calvin, der dem Todesurteil gegen den Ketzer Servet zustimmte.
Und das Gefühl bleibt zurück: hier wurde in der Geschichte eine Schlüsselstellung missbraucht. Die missbrauchten Schlüssel – so könnten wir manches Kapitel in der Geschichte unserer Kirche überschreiben.
Und wir sind nicht nur traurig, dass die Kirche inzwischen eine solche Schlüsselstellung verloren hat. Der Machtverlust der Kirche, den wir allerorten beobachten können hat auch eine gute Seite.
Der dritte Gedanke heisst: „Die verlorenen Schlüssel“.
Schöpfte die Kirche früher aus ihrer Schlüsselstellung Macht, so hat der Machtverlust heute auch eine Seite, die dazu führt, dass die soziale Kontrolle die es früher gab, sich aufgelöst hat. Heute wird niemand mehr schief angeschaut, wenn er am Sonntag nicht in die Kirche geht. Eher umgekehrt. Was du gehst noch in die Kirche, diese altmodische Einrichtung.
Ich habe den Eindruck, es fällt uns heute oft schwer, für jedes Milieu die richtigen Schlüssel zu finden. Unser alter Schlüsselbund von Gottesdienst, Kirchenchor und Gruppenstunde ist rostig geworden und schließt die Türen der Menschen nicht mehr richtig auf. Zu fremd wurde das alles. Zu dicht sind die Kirchenmauern oft zwischen dem Sonntag und dem Alltag. Immer mehr steht die Kirche vor verschlossenen Türen und findet keinen Zugang mehr. Das macht mich ratlos und stimmt mich traurig. Jeder Kirchenaustritt gibt mir einen Stich
Wir können schmunzeln über den Petrus an der Himmelstür. Wir haben diese Schlüssel aber oft missbraucht. Und heute gilt: wir haben die Schlüssel teilweise ganz verloren.
Aber Jesus hat seinen Auftrag an seine Jünger nicht zurückgenommen. Wir, die Jüngerinnen und Jünger an der Seite des Petrus haben in den Augen Jesu weiterhin eine Schlüsselfunktion.
- Was macht Jesus da eigentlich, wenn er dem Petrus die Schlüssel des Himmels in die Hand drückt. Er sagt damit: Das Urteil des Petrus hat soviel Gewicht, dass es auch im Himmel weiter gelten soll. So wie Petrus hier auf der Erde entscheidet, so soll es auch im Himmel gelten. Einem ganz normalen Menschen drückt Jesus also die Himmelsschlüssel in die Hand.
Und Jesus sagt auch uns: Ihr könnt, wenn ihr wollt, anderen Menschen ein Stück vom Himmel aufschliessen. Versucht es nur!
Ihr könnt Himmelsschlüssel sein, wenn ihr eine kranke Frau versorgt, wenn ihr einen traurigen Menschen zuhört, wenn ihr euch für Menschenrechte einsetzt, wenn ihr für den Frieden arbeitet, wenn – ja, ich glaube, jedem von uns fallen da genug Beispiele ein, wo wir anderen ein Stück vom Himmel bringen. Dann ist der Himmel nicht weit weg, sondern in uns und um uns.
Wie es in dem Lied heisst, das wir gleich singen werden:
Wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken und neu beginnen ganz, neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.
Ja, wo Menschen sich für andere verschenken, da kommt der Himmel auf die Erde. Wir können anderen ein Stück vom Himmel aufschliessen. Darum geht es in der alten Geschichte von Petrus. Und auch wir alle, die Gemeinde der Jüngerinnen und Jünger, wir alle haben diese Schlüsselfunktion.
Auch uns legt Gott die Himmelsschlüssel in die Hand.
- Aber wer nun vielleicht Angst bekommt vor dieser Machtfülle, vor dieser Verantwortung, und sagt: aber ich bin doch kein Petrus, dieser gewaltige Jünger….der schaue sich den Schlüsselmann Petrus einmal genauer an: Petrus war nicht so gewaltig wie der Petersdom es wiederspiegelt. Er war ganz und gar perfekt. Petrus war kein Heiliger. Er war ein einfacher Mann, ein Binnenfischer aus der Provinz. Petrus versuchte Jesus hinterherzugehen, sein ganzes Leben lang. Auf der einen Seite hatte er große Lichtblicke. Aber dann hören wir wieder von seinem Kleinglauben. Die Bibel erzählt von einem Feuer, an dem Petrus sich wärmt und wie er versucht, sein eigenes Fell zu retten. Sie erzählt von einem krähenden Hahn und von Tränen der Reue. Sie erzählt auch später von seinem Streit mit Paulus. Petrus war ein Mensch wie unsereins, mit Lichtblicken und dann wieder wankelmütig, mit guten und mit schlechten Stunden.
Petrus war kein Heiliger. Warum bekommt er trotzdem die Schlüssel anvertraut? Warum erhalten Menschen eine solche Schlüsselfunktion in der Geschichte Gottes? Warum dürfen sie mitmachen, trotz all ihrer Schwächen und Widersprüchlichkeiten? Warum liegt es in Menschenhand, ob anderen Menschen der Himmel aufgeht oder ob er sich ihnen verschließt? Und wieso wird der wankelmütige Petrus zum Fels, auf den sich Kirchen bauen lässt?
Nun weil Gott es so will. Weil Gott sich in seiner Freiheit an uns Menschen bindet. Und weil Petrus bei allen Fehlern doch immer wieder zu Jesus zurückkehrt. Weil Petrus sich an Jesus bindet. Weil er erkennt, dass Gottes Größe in dem Menschen Jesus von Nazareth eingegangen ist. Darum ist auch für uns nichts weiter nötig, als dass wir uns bei allen Fehlern und Misserfolgen an Jesus festhalten, uns immer wieder von ihm auf den Weg bringen lassen zu Gott. Wo wir alle miteinander an Jesus festhalten, ist der Himmel nah.
- Noch eins zum Schluss: einige fragen jetzt vielleicht: was ist aber mit dem zuschliessen? Mit dem Versagen der Vergebung? Mit dem Zuschliessen des Himmels. Liegt das auch in unserer Macht?
Im ersten Moment stocke ich.
Ich frage uns mal: Gibt es nicht ein Unrecht, das weiterwuchert und kein Ende nimmt, wenn man sich nicht deutlich abgrenzt? Das hat unser Volk deutlich genug im Nazireich erlebt. Da musste die Kirche sich abgrenzen, wenn sie am Pfingsttag im Jahre 1934 in Wuppertal Barmen in klaren Sätzen formulierte: wir verwerfen die falsche Lehre der Deutschen Christen. Lesen sie mal im Gesangbuch die Barmer theologische Erklärung unter dem Gesichtspunkt der klaren Abgrenzung von Irrlehren. Ja, es gibt ein falsch und ein richtig, ein aufschliessen und ein zuschliessen. Es gibt ein Unrecht, wo deutlich gesagt werden muss: so nicht.
Wer so handelt, dass er anderen das Leben zur Hölle macht, schliesst sich selbst vom Himmel aus. Das muss und darf die Kirche klar benennen. Wer damals den Geist des Evangeliums mit dem Ungeist des Nationalsozialismus vermengte, der war auf einem Weg, der in die Irre führte. Das war die deutliche Aussage der Barmer Theologischen Erklärung, mit der die Bekennende Kirche sich vor 85 Jahren gegen die Deutschen Christen abgrenzte und ihnen damit ihr Christsein absprach. Im Nachhinein hatten die Bekennenden recht. Man konnte nicht dem Führer folgen und zugleich an Christus glauben.
Nein-Sagen, Unrecht deutlich beim Namen nennen auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Menschen um uns herum ein Stück vom Himmel bringen, das sind die entscheidenden Schlüsselfunktionen im Geiste Jesu, die uns allen in der Kirche übertragen sind.
Möge Gott es uns schenken, dass auch wir anderen Menschen ein Stück vom Himmel aufschließen können. Amen.
von Pfarrer Dietrich Becker-Hinrichs