Predigt – 1. Sonntag nach Epiphanias
Predigt über Josua 3, 5-11.17 [1. Sonntag nach Epiphanias]
Liebe Gemeinde, wer kommt bloß auf so eine Idee – ist es mir durch den Kopf gegangen? Und ein paar Mal habe ich leise dazu gedacht das Wörtchen „blöd“. Da steht seit alters her am 1. Sonntag nach Epiphanias das Thema der Taufe Jesu im Mittelpunkt (Evangelienlesung!) und dann soll man sich mit dieser alten Geschichte herumschlagen. Auf den ersten Blick verbinden bloß das Element Wasser und der Fluss Jordan die Geschichten – allerdings alles andere als unmittelbar: Jesu Taufe war fast 100 Kilometer weiter nördlich am Fluss und viele hundert Jahre später. Was soll das also? Am 1. Advent 2018 trat die neue Perikopenordnung in Kraft und hat uns/mir nun am Anfang diesen geänderten Text beschert. Josua 3 kam bis zum 1. Advent gar nicht in Gottesdiensten vor. Nun muss man wissen, dass der Jordan damals – sowohl bei Josua als auch bei Jesus ein ganz anderer Fluss war als heute. Man muss nicht in Israel gewesen sein, um zu wissen, dass der Jordan zu einem ganz harmlosen Flüsschen geworden ist, weil von den Anrainer Staaten zur Trinkwasserversorgung weit mehr Wasser entnommen wird, als gut ist. Eine Überquerung ist heute überhaupt kein Höllentrip mehr. Die Folge ist, dass der Wasserpegel des abflusslosen Toten Meeres, dessen einziger Zufluss der Jordan ist, seit Jahren dramatisch absinkt. Damals, in biblischen Zeiten war das ganz anders. Der Jordan hat Wassermassen nach Süden ins Tote Meer transportiert. Als das Volk Israel mit Josua vor der Überquerung stand, war auch noch kräftiges Hochwasser. Das würde man wissen, wenn man nicht die Verse 12-16 aus dem Predigttext herausgeschnitten hätte. V 15 heißt es: „… der Jordan aber war die ganze Zeit der Ernte über seine Ufer getreten“. Nebenbei bemerkt würde man dann auch noch erfahren, auf wunderbare Weise Gott seinem Volk die Jordanpassage ermöglich hat, nämlich so, wie damals beim Durchzug durchs Rote Meer, als das Wasser eine Wand gebildet hat: In Vers 16 heißt es sehr detailliert: „Das Wasser stand wie ein Wall sehr weit flussaufwärts in der Nähe des Ortes Adam, der bei Zaretan liegt. Das Wasser unterhalb des Walles lief zum Toten Meer hin ab.“ Also: 1. Die Überquerung des Jordan hatte rein gar nichts von Wasserspielplatz. Es war eine wahnsinnig riskante und gefährliche Herausforderung. Und 2. Nach dem Übersetzen auf der anderen Flussseite da blieb es wahnsinnig riskant und gefährlich. Denn dort war zwar das gelobte Land mit fließendem Honig und ebensolcher Milch – doch es war kein unbewohntes Land. Es war ein Land voller sesshafter Menschen, die in Häusern aus Stein und in Städten mit Befestigungsanlagen wohnten. Die zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte waren zwar auch kein Spaziergang: Sklaverei, Flucht aus Ägypten, Wüstenwanderung… – doch das große, gefährliche, knackige Finale (Kampf, Krieg) stand noch bevor und zwar jetzt, an dem Punkt, der uns heute vor Augen geführt wird, unmittelbar. Der Jordan hat wie mit einem Cutter das Kulturland von der Wüste getrennt: Westjordanland und Ostjordanland. Von diesem Punkt, von dieser Stelle aus, gibt es kein Zurück mehr. Und da, auf einmal, blitzt ein erstes Mal eine Parallele zur Taufe auf. Von der Taufe gibt es auch kein Zurück. Ich kann mich jeden Tag hundert Mal von meiner Taufe distanzieren, aber ich kann sie nicht ungeschehen machen. Sie gilt. Wenn Martin Luther besonders deprimiert war, soll er ganz demonstrativ auf den Tisch geschrieben haben: „Ich bin getauft!“ – und das gab ihm Trost. Wir sind im Namen Jesu getauft. Der Name Jesus bedeutet: Gott ist Hilfe, Rettung, Retter. Jesus ist Griechisch. Jos(h)ua ist die hebräische Form von Jesus. Jesus und Josua haben also den gleichen Namen bzw. Namen mit der gleichen Bedeutung: Gott ist meine Hilfe, Gott ist Retter. Und dieser Name ist (natürlich) nicht beliebig oder zufällig. Dieser Name stand über dem gewaltigen und gewagten Akt der Jordanüberquerung und er steht über unserem Leben seit wir getauft sind, seit wir zu ihm gehören: Gott ist mein Helfer und mein Retter. Jesus selbst ist mit seiner Taufe im Jordan den unumkehrbaren Schritt gegangen. Ab dem Moment seiner Taufe ist er an die Öffentlichkeit gegangen und hat gezeigt, wie das Reich Gottes geht. Ab der Taufe gab es – wie für die Israeliten mit der Flussüberquerung – kein Zurück mehr für Jesus. Aber diese eine Taufe hatte es in sich. Gott selbst hat dabei mitgewirkt: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ – hat es vom Himmel gehallt. Eine Ansage! Eine Ansage als Chefsache. Da hat Gott keine Engel vorgeschickt wie an Weihnachten. Das hat er selbst in die Hand genommen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ – Mit unserer Taufe wird Gott auch uns zum Vater. Einem guten Vater. Einem Vater, dem wir uns bedenkenlos ausliefern und anvertrauen dürfen. Einem Vater, der am Ende alles gut werden lässt. Einem Vater, dem wir in dessen Welt einmal begegnen werden. Zwischen dieser Welt und seiner Welt wird uns auch ein Jordanübertritt abverlangt. Ein großer oder besser: der ganz große… Auch einer, von dem es kein Zurück gibt. Bis dahin geht unser Weg immer wieder, unregelmäßig und unausweichlich über größere oder kleinere Jordanflüsse. Das Leben ist durchzogen von solchen und eher selten ist einfach eine Brücke da, über die es sich gehen lässt. Unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden geht es zurzeit so. Sie sind im Moment zugeballert mit Referaten, Tests und Klassenarbeiten. Die meisten von ihnen sind da im Moment richtig am Kämpfen. Eine Mutter hat mir gesagt, dass bloß an drei oder vier Tagen in den zurückliegenden Weihnachtsferien nicht gelernt wurde. Ansonsten büffeln und pauken, in den schönen Weihnachtsferien – und das schon in der 8. Klasse, mit 13, 14 Jahren – die Jordane von Schülerinnen und Schülern. Eine junge Mitarbeiterin unserer Gemeinde hat mir gestern per Mail für das Mitarbeiterfest am kommenden Samstag abgesagt, weil der Zeitpunkt in der Hochphase der Semesterprüfungen liegt – der Jordan einer Studentin. Ich denke an einen Mann, der liegt genau seit einem Jahr im Krankenhaus und kämpft und hofft nach insgesamt 69 (!) OPs. Manche Jordane sind so breit, dass ich sie mir gar nicht vorstellen kann. Das sind zugegeben Extreme, die viele zum Glück nicht treffen. Aber wer hätte keine Jordane in seinem Leben hinter sich und auch noch vor sich? Ich möchte zum Ende kommen mit einem Gesichtspunkt, der in unserem Text gleich ganz am Anfang steht. Das erste, was Josua dem Volk sagt: „Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder an euch tun“. „Heiligt euch!“ In der Hoffnung für Alle heißt es: “Reinigt euch und bereitet euch darauf vor…“ und in der Guten Nachricht steht: „Macht euch bereit! Sorgt dafür, dass ihr rein seid.“ Es geht mir nicht um jüdische Reinigungsvorschriften, diie hier konkret angesprochen sind, sondern um das „Macht euch bereit, bereitet euch vor!“ Meine Kinder haben das (nicht nur in der Vergangenheit) gerne aus dem Blick verloren. Wenn wir gemeinsam irgendwo hinwollten und der mehrfach vorher in Erinnerung gerufene Zeitpunkt zum Weggehen da war, musste plötzlich noch geduscht werden, wurde ein bestimmtes T-Shirt noch gesucht, war der Handy Akku leer – oder noch schlimmer: konnte man ein Kind in seinem Zimmer antreffen mit Kopfhörer und ohne jedes Zeitgefühl.
„Macht euch bereit!“ Das ist natürlich eine allgemeine, zeitlose und glaubensunabhängige Aufforderung. Schon die alten Lateiner sagten: „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“ (_______) (Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende). Als Christen wissen wir um das Ende, dass das Ende nämlich kein Ende ist. Und für uns als Christen gehört die Taufe zu der Vorbereitung auf das unendliche Ende dazu, weil sie uns zu Kindern dessen macht, der dem Ende das Ende bereitet hat. Zu den Vorbereitungen für die Überquerung der schmalen und breiten Lebensjordane gehört alles zu tun, was getan werden kann. Doch dazu kommt das, was Josua auch ganz an den Anfang stellt: Dass wir uns und unsere Aufgabe Gott anbefehlen. Das wir um seinen Segen und seinen Beistand, sein Zutun und Mitsein bitten. Haben Sie noch die lateinische Redensart im Kopf? Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende. Für uns heißt das, dass wir uns mit Gott verbinden und verbünden, dass wir Gott in unserer persönlichen Mitte haben. Was und wen sonst, wenn nicht Gott, der am Ende alles gut werden lässt? Amen.